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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ironisch verspielt der Professor sein SOS funkt.) Wenn Du also darüber jammerst, daß Dein Grundmann neuerdings keine Anstrengung scheut, mecklenburgische Weideflächen von genossenschaftlichem Ausmaß bei einem bayrischen Fleischgroßhändler in Sicherheit zu bringen, und daß diese weitflächige Landnahme den Segen Eurer TreuhandFiliale hat, dann überrascht mich das nicht. Mit dem Umzug vom Alexanderplatz haben sich weit größere Skandale, die aus Halle und Dresden herrühren, an zentraler Stelle, das heißt im ehemaligen Haus der Ministerien einquartiert. Es stinkt kolossal nach legalem Betrug. Doch weil mir dieser Geruch seit schwefelgelber Vorzeit vertraut ist, rümpfe ich kaum die Nase und merke zum Glück wenig davon in meiner Klause im siebten Stock, wo Windstille herrscht. Ab und zu wage ich mich in den Tiergarten, der in diesem milden Frühjahr mit ersten Knospen überpünktlich zur Stelle ist, mich allerdings kürzlich gelehrt hat, daß Deutschland nicht bloß mehr ein Begriff, sondern eine starke Tatsache ist; denn als ich mich auf meiner Lieblingsbank ein wenig mit Pietsch ausplaudern wollte aber er fand sich nicht ein –, kamen drei oder vier Rabauken auf mich zu, die meinen Anblick nicht ertragen konnten. Man hielt mich offenbar für einen Türken, den man absolut weghaben wollte. Nun, ich habe diese Rüpel mit märkischer Rede in preußische Zucht genommen und als armseliges Häuflein -wie Seydlitz bei Roßbach – in die Flucht geschlagen. Danach war der Tiergarten wieder freundlich und einladend. Doch heute bleibt Brieftag angesagt. Will oder muß unbedingt an Teddy schreiben, so wenig Hoffnung auf Antwort besteht. Gerüchte, mehr noch, Verdächtigungen sind mir zu Ohren gekommen, die ihn (und also uns) betreffen. Das will und will kein Ende nehmen. In Frankreich ist man, da Post nur sparsam kommt, auf anderem Papier fleißig. Mama laboriert an ihren chronischen Blasenbeschwerden, ist aber tagsüber unternehmungslustig: Kinobesuche mit Deiner plapprigen Freundin oder Einkaufsbummel. Das KaDeWe allerdings lockt nicht mehr. Und selbst das Guckkastenprogramm hat sie sich, mit ihren Worten, ›übergesehen‹. Neue Arbeit wurde mir, gottlob, nicht aufgehalst, auch hat der Chef des Hauses bislang keine Zeit gefunden, meine Denkschrift zu begutachten. Er hetzt von Sitzung zu Sitzung und steckt, glaube ich, ganz schön in der Tinte …«
    So war es. Das stand in allen Zeitungen. Die Treuhand lag unter Beschuß. Moloch oder Monstrum wurde sie genannt. Es hieß, sie privatisiere rücksichtslos, sei eine Kolonialbehörde, unterliege keiner parlamentarischen Kontrolle und lasse überall, besonders in den Außenstellen die Handschrift alter und neuer Seilschaften erkennen. Weil sich hier und dort westliche Immobilienhaie und östliche Wendehälse zusammengetan hatten, wurde höhnisch von »gesamtdeutscher Kungelei« gesprochen. Was Halle betraf, fiel das Wort »schwäbische Mafia«. Selbst in behutsamen Kommentaren lispelten Fragesätze: Soll denn jegliche Konkurrenz abgewürgt werden? Wird etwa die Devise »Bereichert Euch!« des Liberalismus neuester Modeschrei sein? Wann endlich erwägt der Chef der Treuhand seinen längst fälligen Rücktritt? Der aber blieb und ließ sagen: Jetzt erst recht. Zügig und ohne falsche Rücksichtnahme muß die Altlast abgewickelt werden. Das ist nun mal unsere undankbare Aufgabe: abwickeln. Und dieses Tätigkeitswort sollte zum Wort des Jahres werden. Ein häßliches Wort, wie geschaffen, den hier geduldig, dort fordernd auftretenden Kolonialherren glatt vom Munde zu gehen. Ein den Menschen aussparendes Wort; doch weil beim Abwickeln die Zahl der Arbeitslosen von Monat zu Monat stieg, ließ sich der Mensch nicht wegschummeln, so beflissen von notwendigem Personalabbau oder vom Gesundschrumpfen die Rede war. Und weitere Wortungeheuer wurden nach dem Regelwerk der Marktwirtschaft freigesetzt: Investitionshemmnisse sollten beseitigt, das Restrisiko akzeptiert, jegliche Überkapazitäten gekappt, Betriebe entkernt, Standortvorteile wahrgenommen werden. Überhaupt begann sich das Wort Standort zu mausern. Später kam, wie wir wissen, mangels Nation der Begriff »Standort Deutschland« in Umlauf; und all diese Wörter bewiesen sich bald, nun auch den Westen einholend, als gesamtdeutscher Kitt im Sinne von Einheit. Vorerst waren nur wir, war der Osten dran. Die Treuhandanstalt und ihre namhafte Spitze machten sich Feinde. Und da diese allem übergeordnete Behörde und ihr zentral

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