Ein weites Feld
königlichen Gebeine durcheinander gerieten, nicht begleiten, auch sind uns die vergeblichen Bemühungen der Arbeiter-und Bauern-Macht um Preußens mumifizierten Nachlaß kein Wort wert; all das, was Fonty wiederholt »Testamentsschwindel und Mumpitz« nannte, soll unkommentiert bleiben, aber die Fahrt nach Potsdam müssen wir, kaum daß der Trabi die Eisenbahnbrücke Wannsee erreicht hatte, mehr auf Befehl als auf Wunsch unterbrechen. Die Studentin Aubron wollte unbedingt und sofort ein anderes Grab, das sozusagen am Wege lag, besuchen: »Hier liegt doch irgendwo einer meiner Lieblingsautoren begraben, nicht wahr, Großpapa? Könige sind mir nicht wichtig, selbst die französischen nicht, aber dem Autor der ›Penthesilea‹ will ich, wenn Sie erlauben, die Ehre erweisen.«
Folgsam parkte Hoftaller den Trabi. Und Fonty fügte sich, wenn auch ein wenig verstimmt, dem Wunsch seiner Enkeltochter. Kleist kam ihm genialisch hoch verstiegen vor. Kleist war ihm nicht geheuer. Heinrich von Kleist, das war der andere Preuße. Wie häufig bei Unsterblichen: bei allem Respekt, man blieb sich fremd.
Dieser Abstand ist schon dem Aufsatz »Kleists Grab« aus dem Wanderungenband »Fünf Schlösser« abzulesen, so langatmig er über Scherenberg und weitere vergessene Größen geschrieben hat, in diesem Fall hielt er sich knapp. Der eine Unsterbliche besuchte den anderen im Mai 1882 und fand »eine vielbesuchte Pilgerstätte« vor. Anfangs beschäftigte ihn eine Gruppe kleiner Leute, »vier Personen und ein Pinscher, die, den Pinscher nicht ausgeschlossen, mit jener Heiterkeit, die, von alten Zeiten her, allen Gräberbesuch auszeichnet, ihre Pilgerfahrt bewerkstelligten …« Dann erst – und nachdem er den »Bourgeois-Charakter« der Gruppe ausgemalt hatte wurde das Doppelgrab, umschlossen von einem Eisengitter zwischen vier Steinpfeilern, in den Blick gerückt: »Ein abgestumpfter Obelisk aus älterer und ein pultartig zugeschrägter Marmor aus neuerer Zeit …« Henriette Vogel, von Kleist erschossen, bevor er sich erschoß, kam namentlich nicht vor, aber zitiert wurden, wenn auch ungenau, die Lebensdaten des Dichters und der von einem Schriftsteller und Arzt namens Max Ring stammende Grabspruch, den später, weil Ring Jude war, die Reichsschrifttumskammer tilgen ließ: »Er lebte, sang und litt in trüber, schwerer Zeit, er suchte hier den Tod und fand Unsterblichkeit.« Als Fonty am Arm seiner Enkeltochter und mit begleitender Person über einen angezeigten Weg die Gedenkstätte oberhalb des Kleinen Wannsees gefunden hatte, stand in den allerneuesten Stein »Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein« gemeißelt, und Madeleine, die laut las, wußte, daß sie aus dem »Prinz von Homburg« zitierte. »Was haben Sie nur, Großpapa? Schöner und kürzer kann man ihn nicht beim Wort nehmen. Sie sind doch sonst für Unsterblichkeit, so fraglich uns dieser Begriff heutzutage anmuten mag.« Fonty nahm sogleich den Eckplatz 23 des Königlichen Schauspielhauses ein. Im Verlauf der Jahre hatte der Premierentiger der Vossischen Zeitung von dort aus drei Stücke, zuerst »Die Hermannsschlacht«, dann den »Prinz von Homburg«, schließlich das Lustspiel »Der zerbrochene Krug«, mit schwankendem Wohlwollen ansehen müssen. Wir wissen, wie sehr ihm das germanisch-römische Gemetzel imponiert hat; solch dramatisch gesteigerter Haß konnte zur Zeit der Entstehung des Stücks, in der Preußen daniederlag, als Franzosenhaß verstanden werden. Trotz Nachtwandlerei in den Anfangsszenen und unbeschadet aller »romantischen Caprice« feierte er den Prinzen, aber ärgerlich ist ihm »dies Greuel von Dorfrichter« gewesen, allenfalls »ein Lesestück«. Zwar lobte er im Detail, hier die »Charakteristik und Ökonomie«, dort die »Klarheit und Konsequenz des Gewollten« und anfangs die »fehlende Phrase«, doch weil die erkannte Größe des Genies in allen Stücken mit erschreckender Leidenschaft zu Wort kam, sah Fonty nicht nur Kleist, sondern nun auch den immerfort Unsterblichkeit herbeirufenden Grabstein mit abgewendetem Blick. »Sie sind eifersüchtig, grand-père!« rief Madeleine. Hoftaller versuchte, seinem Objekt beizustehen: »Das Maßlose ärgert ihn. Weil alles so übertrieben ist, richtig krankhaft. Dieser Kleist hätte in ne Klapsmühle gehört …« Fonty schwieg. Der graue Tag verhängte die Aussicht: kein Weitblick über den See, kaum Segelboote. Endlich sagte er: »Sehe das heute anders. Was krank war, war die Zeit, in der er
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