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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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war derart vom Geschäftlichen gefordert, daß es nur für weitere Telegramme reichte, in denen ihr Vater gebeten, bedrängt, mit Frischluft geködert und in aller Kürze aufgefordert wurde, die Mühsal des Treppenhauses, seine Studierstube, die Dreieinhalbzimmerwohnung, den Kastanienbaum im Hinterhof, also die Kollwitzstraße, den Prenzlauer Berg, Berlin insgesamt, mithin das Hugenottenmuseum, den Friedhof an der Pflugstraße, alles, was der Tiergarten in wechselnder Jahreszeit zu bieten hatte, gleichfalls die fiktive Hausnummer in der Potsdamer, aber auch uns, das Archiv, hinter sich zu lassen und in der Villa der reich gewordenen Witwe mitsamt seinem Mobiliar, den Büchern und dem Schreibkram, der Briefwaage und der rotchinesischen Teppichbrücke Quartier zu beziehen. Laut gesondertem Telegramm wünschte sich Emmi ihren Wuttke herzlich herbei: »Komm endlich. Ist herrlich hier. Alles viel größer. Bin glücklich. Nur du fehlst. Mach schon. Holen dich sonst.« Anfangs hatte Fonty darauf spöttisch reagiert – »Wußte, daß Mete nicht mit beständiger Witwenträne rumlaufen würde« –, dann brachte er alles auf den Nenner des Unsterblichen: »Moral ist gut, Erbschaft ist besser!« und erklärte schließlich seiner Enkeltochter den bei den Wuttkes bis dahin unbekannten Größenwahn mit einem Rückblick auf die Enge vergangener Jahre: »Kleine Verhältnisse machen klein.« An eine Übersiedlung in die am Schweriner See gelegene Villa, die er nur noch »Schloß Großkotz« nannte, dachte er nicht, auch nicht versuchsweise, so aussichtsreich ihm das Turmzimmer versprochen blieb. Nach seinem Diktat mußte Madeleine zurücktelegraphieren: »Bin umpflanzuntauglich. Habe Seßhaftigkeitsphlegma. Zu wenig berlinverdrossen. um mecklenburgfreundlich zu sein. Stimmungswechsel bleibt fraglich.« Bald lernte La petite, Wörter zum Bandwurm zu drehen. Sie telegraphierte hinhaltefreudig und silbenzählend. Das Wort »Turmzimmerschwindel« ist ihr zu verdanken. Da im Sekundärbereich bereits eine Dissertation über den zeitbezüglichen Stellenwert der Telegraphie in den Romanen und Novellen vorlag und wir oft genug mit Fonty und seiner Enkeltochter den Kürzelstil der Wolffschen Depeschenagentur parodiert hatten, wobei wir alle die Meinung vertraten, daß der preußische Kasinoton, aber auch die abgehackte Redeweise des Monarchen in »Schach von Wuthenow« den Telegrammstil vorweggenommen haben, muß es der Studentin Aubron ein Vergnügen gewesen sein, knauserig mit Wörtern umzugehen: »Entschlußsperre klemmt. Fürchte Luftwechselfieber.« Entschlußfreudiger reagierte die Nachbarin Scherwinski, die gleichfalls ein telegraphisches Angebot von hochherzigem Ausmaß bekommen hatte. Martha, die mit Inge schönste Erinnerungen an Jugendweihe und Kartoffelernten teilte, stellte ihrer Freundin und den drei Jungs die Gärtnerwohnung, den sogenannten Annex der Villa am See, zur Verfügung: »Kannst kommen. Steht im Prinzip leer …« Sofort war Inge Scherwinski bereit, in den Norden zu ziehen: »Hier hält uns nischt mehr. Ehrlich, ohne die Wuttkes wolln wir hier nich mehr sein. Und außerdem krieg ich ne Stellung da. Steht alles im Telegramm drin. Soll Hauswirtschaft führen, überhaupt und wenn Jeschäftsfreunde kommen. Sowat kann ick: alles nettmachen und bißken jefällig. Für unser Marthchen sowieso. Und für die Jungs isset da oben och besser als hier inne Stadt, wo se rumhängen nur oder Zoff machen.« Fonty riet der Nachbarin zum Klimawechsel: Sogar ihm sei ein Leben in freier Natur verlockend. Immer häufiger spüre er ein Sehnen nach weiten Horizonten und wünsche sich menschenferne Stille herbei. Aber vorläufig wolle er noch die Stadt genießen. »Immerhin«, rief er, »steht einiges auf dem Programm!«
    An einem grauen Tag, passend zum Anlaß, fand das Ereignis statt: Zwei Sarkophage, jeder zehn Zentner schwer, wurden in Güterwagen verladen, auf daß sie, begleitet von Familie und Bundeswehroffizieren aller Waffengattungen, aus den Gewölben der Hohenzollernburg, die im fernen Württemberg ragte, nach Potsdam überführt wurden. Hoftaller wußte Einzelheiten. Er behauptete, einst an der Observierung der beiden Särge beteiligt gewesen zu sein. Daß er nun in Gesellschaft Augenzeuge sein durfte, als die Preußenkönige, Vater und Sohn, ankamen oder, wie es hieß, nach langer Irrfahrt heimkehrten, verdankte er allerdings Fonty, der bei Madeleine für den abgehängten Tagundnachtschatten ein Wort eingelegt hatte. Schon seit

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