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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Tagen wurde er per Distanz lästig. Wo immer Großvater und Enkeltochter unterwegs waren, ob auf dem staubigen Alexanderplatz, dem nur der Fernsehturm einen Schatten warf, oder auf Nebenwegen im Tiergarten, den gleichfalls Augusthitze drückte, überall folgte ihnen ein kurz geratener Mann von rundlich straffer Statur. Ohne Objekt neben sich, war er von trauriger Gestalt, trat an Straßenecken auf der Stelle, wartete ab, blieb aber auf Spur, verschwand hinter Gebüsch, konnte hinter Marmorstatuen – Lortzing vermutet werden, war abermals als Spaziergänger kenntlich oder vereinsamte auf einer Bank, von der aus gesehen andere Bänke in Sichtweite standen und leer oder besetzt waren, wie jene besondere. Er blieb und blätterte in einem Buch, das neuerdings, zwischen Thermosflasche, Blechdose und Kleinschirm, zum Inhalt seiner Aktentasche zählte. Von beiden Bänken aus hatte man die Rousseau-Insel im Blick. Aufklärung, das doppelsinnige Wort, der dehnbare Begriff. Sogar einer der Könige, die heimkehren durften, galt als aufgeklärt: Er hat sich Voltaire zeitweise als Hofnarren gehalten und die Prügelstrafe abgeschafft, er hat Religionsfreiheit erlassen und soll die Kartoffel in Preußen heimisch gemacht haben. Aber auch Hoftaller, der nun mit Lesebrille Vokabeln büffelte, sah sich allzeit, und gleich einem Trüffelschwein, in Diensten der Aufklärung: Er prüfte den Sinn hinterhältiger Wörter, er deckte das Subversive auf, er brachte ans Licht, ihm blieb nichts verborgen. Auf der anderen Tiergartenbank sagte Madeleine: »Monsieur Offtaler macht wohl nie Feierabend?« Fonty erinnerte sich: »Solange ich ihn kenne – und da kommen etliche Jährchen zusammen –, war er immer im Dienst.« Die Enkeltochter hätte ihn lieber als Tourist gesehen und weit weg gewünscht: »Im August machen doch alle Urlaub, warum er nicht?« Der Großvater lächelte: »Mein Kumpan wüßte mit sich nichts anzufangen, ob an der See oder im Gebirge. Schon jetzt leidet er unter Entzug. Wie sollte er, ganz auf sich gestellt, so etwas wie Sommerfrische überleben?« Nach einer Pause, in der zwischen den Bänken nur der Teich und dessen namhafte Insel die Stille mit Vogelstreit und Entengeschnatter unterbrachen, sagte Fonty: »Seien wir menschlich, mein Kind, nehmen wir ihn nach Potsdam mit, und sei es par piété.« Wir vermuten, daß Hoftaller auf diese Einladung gewartet hat. Madeleine überbrachte die frohe Botschaft von Bank zu Bank: »… doch muß ich Sie sehr bitten, Großpapa nicht mit unnützen Fragen zu quälen. Er bedarf noch immer der Schonung. Also nichts Dienstliches, Monsieur. Nur privat sind Sie uns willkommen!«
    So kam es tags drauf zur Fahrt mit dem Trabi. Dem Anlaß entsprechend fuhren sie auf historischer Strecke: Vom Potsdamer Platz, wo man sich vormittags traf, ging es über die Potsdamer-, Haupt- und Rheinstraße bis nach Steglitz, dann Unter den Eichen weiter bis nach Wannsee, von wo aus die Fahrt bis hin zur Glienicker Brücke und dann in den festlichen Trubel hineinführen sollte. Hoftaller wußte im voraus: »Ne ziemliche Menge, hunderttausend und mehr werden erwartet. Man rechnet mit Störversuchen der Autonomen. Aber die eigentliche Grablegung findet ja erst um Mitternacht statt, streng abgeschirmt natürlich. Friedrich Wilhelm kommt in die Friedenskirche, Friedrich unter die Schloßterrasse. War schon immer sein Wunsch, weit weg vom Vater … Kein Großer Zapfenstreich, nur ne kleine Zeremonie, dafür mit Fernsehen, Kanzler, Hohenzollernprinzen … Ist ne ziemlich lange Geschichte … Eigentlich sollte das vor ein paar Jahren schon über die Bühne, als wir noch am Drücker waren … Klappte aber nicht … Wurden im März fünfundvierzig ausgelagert … Salzbergwerk, über fünfhundert Meter tief … Dann aber … Gleich nach dem Krieg ging das los … Von Bernterode nach Marburg … Ewiges Hinundher … Aufladen, umladen … Von einer Gruft in die nächste … Muß schlimm aussehen in den Särgen … Aber nun, im geeinten Deutschland, dürfen endlich die sterblichen Reste …« Als wäre er jeweils dabeigewesen, gab Hoftaller Bericht. Mit Orts- und Zeitangabe wußte er, wohin man die beiden Sarkophage aus der Potsdamer Garnisonkirche, wo Vater und Sohn viel zu lange hatten nebeneinander aushalten müssen, kurz vor Kriegsende geschleppt hatte und wohin sie bei zunehmenden Transportschäden späterhin überführt wurden; doch wollen wir diese umständliche Quartiersuche, in deren oft überstürztem Verlauf die

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