Ein weites Feld
lebte. Er war ein Preuße der besseren Sorte, ein Marwitz-Preuße, also ein ungehorsamer, einer, den man nach kurzem Prozeß, wie Witzleben, in Plötzensee gehenkt hätte. Von ihm wäre zu lernen gewesen, den Befehl zu verweigern, das strikte Nein, den Aufschrei zu wagen, sogar den Tyrannenmord aber den geglückten. Muß zugeben: Ist nicht leicht, Haß auf ästhetisch hohem Niveau. Er konnte das. Hingegen zählt zu meinen kleinen Tugenden die, den Menschen nicht ändern zu wollen.« Schon auf dem Hinweg zum Grab hatte Madeleine im Vorbeigehen ein paar Blümchen, besser, blühendes Unkraut gepflückt. Das legte sie zu verwelkten Sträußen. Wer nicht aufs grau verschleierte Wasser blickte, überschaute den weitverzweigten Villenvorort im Grünen, in dem versteckt eine besondere Villa, einst Ort der Wannseekonferenz, jetzt Museum des Schreckens, auf Schulklassen wartete. Hoftaller war in Unruhe, weil ihn Madeleines Wunsch zur falschen Grabstätte geführt hatte. Andere Besucher kamen, unter ihnen zwei noch junge Frauen, die aber nur an Henriette Vogel interessiert waren. Ein einzelner Japaner hatte das Kleistgrab in seinem Besuchsprogramm. Und dann klärte ein Familienvater Frau und Kinder auf: »Also, zuerst mal haben die beiden hier janz jemütlich jepicknickt. und dann erst wurde jeschossen …« Noch immer abgewendet und mit Blick in Richtung Dreilinden, sagte Fonty: »Unsterblicher kann man nicht sein.« Dazu hätten wir gerne mehr gehört, aber Hoftaller drängte: »Auf der Schloßterrasse beginnt bald das Defilee vorm Sarg. Höchste Zeit, daß wir gehn. Ist für Publikum zugelassen …« Auf dem Rückweg zum Trabi klagte Madeleine, die sich bei ihrem Großvater eingehenkelt hatte: »Wie schade, daß er uns Franzosen so sehr hat hassen müssen.«
Inzwischen war der Sonderzug, vornweg eine historische Dampflokomotive, nicht direkt in den alten, vergammelten Kaiserbahnhof, sondern im Güterbahnhof Wildpark eingerollt und sogleich entladen worden. Pioniere der Bundeswehr sorgten für den glatten Verlauf der Aktion. Preußens Schwarzweiß deckte beide Sarkophage. Sparsamer Trommelwirbel. Kommandos. Jede Phase des Ab-und Umladens folgte schlichtem Zeremoniell. Nachdem das Heeresmusikcorps »Was Gott tut, das ist wohlgetan« gespielt hatte, nahm der feierliche Zug, angeführt von zwei Pferdegespannen vor schwerer Fracht, den Weg am Neuen Palais vorbei über die Maulbeerallee und hielt, gesäumt von Schaulustigen, den Zeitplan ein, während ein Trabant mit drei Insassen Mühe hatte, seinen Weg über die Glienicker Brücke, durchs Nadelöhr zu finden. Als gegen Mittag endlich der Sohn vom ungeliebten Vater getrennt, der erste Friedrich Wilhelm in der Friedenskirche aufgebahrt lag und des zweiten Friedrich eingesargte Reste im Ehrenhof vor Schloß Sanssouci unter schwarzem Baldachin, an dem weiße Troddeln hingen, zur Schau gestellt wurde, suchte Hoftaller auf Umwegen eine Zufahrt zum Schloß. Es gelang ihm, den Trabi in der Vorstadt zu parken. Über den Voltaireweg kamen sie ungehindert in Schloßnähe. Dort hatte bereits das Defilee vor dem Sarkophag des königlichen Menschenverächters und Hundeliebhabers, den acht Offiziere flankierten, begonnen: der Kanzler voran; nun war gewöhnliches Volk zugelassen. In langer Reihe schoben sich, durch einen Zaun in Distanz gehalten, Tausende vorbei, unter ihnen ältere Personen, die das Schlangestehen seit Mangelzeiten gewohnt waren, als es noch um Kartoffeln oder Nylonstrümpfe ging. Fonty wollte sich nicht einreihen. Teilnahmslos stand er beiseite. Auch das Huldigungsgedicht zu Adolph von Menzels siebzigstem Geburtstag, »Auf der Treppe von Sanssouci«, in dessen Verlauf sich der König mit Hut, Stern und Windspiel – »Biche, wenn nicht alles täuschte« – über den stotternden Schriftsteller belustigt: »Poéte allemand! Ja, ja, Berlin wird Weltstadt …«, mochte er nicht aufsagen, obgleich genug Publikum nahe stand. »War völlig daneben geraten. Menzel dankte spät und äußerst förmlich, weil ich ihm, aus des Königs Mund, nur zehn weitere Jährchen in Aussicht gestellt hatte. So ist das mit Geburtstagen …« Plötzlich war ihm alles zuwider. Er verweigerte Anteilnahme und wünschte sich weit weg von der Schlange stehenden Masse. Doch im Neuen Palais, wo ab frühen Nachmittag die offizielle Feierstunde beginnen sollte und wo sich, der Kanzler voran, Preußens verbliebener Adel mit geladenen Gästen versammelte, war er, der dieses Adels früher Blüte in Prosa und mit
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