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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Schloßfenster aus sehen mußte, wie Katte zum Richtplatz geführt und enthauptet wurde, hatte als pädagogische Maßnahme beispielhaften Charakter: Durch solch hartes Urteil wurde der Grundstein zu Preußens Größe gelegt. Mag der eigentlich Schuldige noch so gerührt gewesen sein und -laut Bericht -»Mon cher Katte!« gerufen und ihm, dem Opfer seiner mißglückten Flucht vor väterlicher Strenge, ein Kußhändchen zugeworfen haben – »je vous demande mille pardons« –, in Wahrheit konnte nur so, nicht wahr, Hoftaller!, aus ihm ein König, ein Fridericus Rex, Friedrich der Große werden, dessen arg beschädigte Knochen endlich heimkehren durften; fürs Fernsehen und den Kanzler ein gefundenes Fressen. Aber sie kamen nicht ins Archiv. Ein wenig gekränkt hörten wir später, daß Fonty es vorgezogen hatte, in einem zierlichen, für Schäferspiele geeigneten Pavillon seine Schauergeschichte abzuspulen. Bis nach Wust, in Kattes Gruft führte er seine Zuhörer. Schon damals ist es zur Überführung sterblicher Reste gekommen. Von Küstrin aus, wo Kopf und Rumpf in der Grube lagen, hat man, auf Gesuch der Familie, den ausgegrabenen Sarg auf einem schmalen Leiterwagen meilenweit über Sandwege – zwei magere Pferde voran – bis zum väterlichen Rittergut gekarrt.
    Wahrscheinlich hat Fonty wieder einmal behauptet, daß der Fall Katte Stoff für ein Stück, geschult an Brechts »Maßnahme«, abgeben könnte; aber hat er in seinem Bericht auch erwähnt, daß Wust in der Nähe von Jerichow liegt? Und ist er plaudernd darauf gekommen, daß Johnsons Jerichow keine bloße Erfindung ist, sondern sich, ins Mecklenburgische verpflanzt, von dort herleitet, zumal der Autor der »Mutmaßungen« in einem späten Buch, das von ihm selbst, dem Verunglückten, handelt, eine Figur namens Joachim de Catt literarisch aufleben läßt? Auch für Fonty hätte das zu weit weg geführt. Vielleicht hat er, weil Madeleine mehr, immer mehr hören wollte und Hoftaller ganz außerdienstliches Interesse zeigte, von jenem hellen Augusttag berichtet, an dem der Unsterbliche auf Besuch kam, aus gleißendem Licht in die Gruft abtauchte und einen Blick in den offenen Sarg warf, auch davon, daß grufträubernde Andenkenjäger, so ein reisender Engländer, jenen Halswirbel, den das Richtschwert durchschnitten hatte, entführt, andere sich Zähne des Enthaupteten herausgebrochen hätten. Oder es gelang Fonty, übergangslos von seinem Besuch der Gruft im Frühsommer 67 zu erzählen, für den er nach Kulturbundvorträgen in Tangermünde und Rathenow Zeit gefunden hatte. Seine Tochter Martha, damals schon im Blauhemd, durfte ihn begleiten; gruslig sei ihr dabei gewesen. Die Dorfkirche befand sich in schlechtem Zustand, was nicht besonders auffiel, weil der Verfall von Altbauten überall im Arbeiter- und Bauern-Staat Fortschritt machte. Insgesamt vierzehn Särge, darunter zwei Kindersärge, standen gestapelt. Stoff genug, um von allen Kattes, dem Generalfeldmarschall, dem Rittmeister, der zweiten Frau des Marschalls, einer geborenen von Bredow, und von »Stiefel-Katte« zu plaudern, dem Narren der Familie, dessen lange Reitstiefel sich besser als die sterblichen Reste erhalten hatten.
    Jedenfalls ging es nur noch um die preußischste aller Geschichten. Und als der Regen nachließ, dann ganz aufhörte, so daß sie, auf Madeleines Vorschlag, einen Stadtbummel beschließen konnten, mit dem der 17. August als neuerlicher Tag von Potsdam ein Ende finden sollte, begegnete ihnen abermals der Enthauptete, als sei nicht der eine oder andere König, vielmehr er die verkörperte Hauptperson.
    Auf den Straßen war kaum ein Durchkommen. Überall Stau, weil einzelne Gruppen jeweils ihren Beitrag zur Feier in Szene setzten und Publikum anzogen, das mit Beifall und Pfiffen parteiisch war. Hier traten korporierte Studenten in vollem Wichs als Hurrapreußen auf, dort wurde in einem Pappsarg der Militarismus zu Grabe getragen. Abgesehen von Buden, in denen es Bockwürste und Brathähnchen gab, die immer noch Broiler hießen, fand eine höfisch aufgeputzte Gruppe von Schwulen besonderen Zulauf: Sie waren dem zweiten Friedrich kostümgetreu zugetan. In bauschigen Reifröcken, unter getürmten Allongeperücken, nicht geizig mit Schönheitspflästerchen und bei ständigem Fächerwedeln, umkreiste der Hofstaat die tuntige Majestät. Das alles hätte bei besserem Wetter zu einem Volksfest beitragen können, zumal für Sicherheit gesorgt war und Skins wie Autonome vorbeugend

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