Ein weites Feld
mit der Sprache! Wolln doch nicht etwa Urlaub machen, auf Mallorca womöglich. Soll immer rappelvoll sein …«
»Aber Sie wissen doch, daß ich kein Ferienreisender bin und nichts mehr hasse als süßes Nichtstun …«
»Dann dürfen wir wohl annehmen, daß sich Monsieur Offtaler in eine andalusische Señorita verguckt hat. Sie lächeln. Ist das so abwegig?«
»Vielleicht reicht es, wenn ich nach diesem kleinen Verhör einfach gestehe: Mein Interesse hat sich, auf Grund der veränderten weltpolitischen Lage, ne Spur verschoben, sagen wir mal, in Richtung Lateinamerika. Die Ost-West-Perspektive ist zwar nicht hinfällig, aber …«
»Und wann, wenn ich fragen darf, reisen Sie ab? Etwa nach Nicaragua?« Diese und weitere Fragen ließ Hoftaller offen, lächelnd, versteht sich. Als er seinerseits zugab, daß er, gleichfalls ein wenig neugierig, zu wissen wünsche, mit welchem Ziel Fonty, fürsorglich begleitet, auf Erholungsreise gehen wolle oder ob er ernsthaft erwäge, bei Frau und Tochter in Schwerin ein, wie zu hören sei, Turmzimmer mit Seeblick zu beziehen, blieb Fonty gleichfalls ungenau und sagte nur: »Um Mete muß man sich nicht kümmern. Aber Emilie? Sie ist eingefuchst auf mich. Will unbedingt, daß ich antanze. Fehle ihr kolossal, meint sie. Nun ja, verlockend ist der Gedanke schon. Zur Küste hin schmeckt alles nach England, Skandinavien und Handel; hingegen schmeckt in Brandenburg alles nach Kiefer und Kaserne. Doch von Berlin weg., so sehr es hier mufft, zieht mich der Norden nicht. Wüßte bessere Gegend … Bin nicht auf Ferienorte abonniert … Was ich suche, ist in keiner Sommerfrische zu haben … Stille, nichts als Stille … Aber vorher werde ich hier singen, was heißt, mit meinem Vortrag alle von den Stühlen reißen. Bin nun doch für Stehpult. Wenn schon reden, dann freiweg!« Danach plauderte man, ohne einander weitere oder gar nachbohrende Fragen zu stellen. Hoftaller gab sich mit dem Streuselkuchen zufrieden. Madeleine erzählte, wie sehr sich ihre Familie in Montpellier über ihr so bravourös bestandenes Examen gefreut habe: »Sogar Mama, obgleich meine These auf deutsch abgefaßt ist!« Alle Nachrichten aus Schwerin hörten sich, was das Geschäftliche betraf, selbst im Telegrammstil günstig an. Von Emmi hieß es, sie fahre zum Einkaufen neuerdings mit Chauffeur. Und Hoftaller, der sich ins familiäre Gespräch einbezogen und sichtlich wohl fühlte, wußte, daß der Grundstein für den Gebäudekomplex der Kulturbrauerei vor rund hundert Jahren gelegt worden sei, und zwar im Auftrag der Firma Schultheiß: »Sie erinnern sich, Fonty. Das ging kurz vor Ihrem Siebzigsten mit viel Trara über die Bühne …«
»Und ob! Aber auch richtiges Theater, ›Vor Sonnenaufgang‹, kam zur Aufführung, und kleine Buchsensationen gab es zu melden: ›Jenny Treibel‹ war im Brouillon abgeschlossen. Friedel legte ›Stine‹ vor. Und dann kam in zwölf Bänden die erste Gesamtausgabe … Überhaupt herrschte großer Betrieb, überall Baustellen … Lärm, Staub, Geschrei auf der Börse … Gründerjahre nannte man das … Und mit dem Direktor von Schultheiß, einem gewissen Patzenhofer, traf man sich allabendlich im Hopfenstock … Zeiten waren das …«
»Und kaum stand die Schultheiß-Brauerei, starb das Damenstiftsfräulein Mathilde von Rohr. Ein herber Verlust, ich weiß. Kurz darauf erreichte die Nervenpleite ihren Höhepunkt. Sogar die Familie erwog Überweisung in ne geschlossene Anstalt. Anämie. Damit war nicht zu spaßen. Haben nochmal Schwein gehabt, Fonty …«
»Oia!« rief Madeleine. »Und so sind die ›Kinderjahre‹ entstanden, aus denen Großpapa, wie nun feststeht, vom Stehpult aus vortragen wird. Phantastisch, wenn man bedenkt, wie aus ordinärem Bier eine Kulturbrauerei wurde. A la bonne heure! Das haben Sie wirklich sehr gut gemacht, Monsieur Offtaler. Alles sorgfältig vorbereitet. Großpapa und ich sind Ihnen zu Dank verpflichtet …« Nicht nur der Prenzlauer Berg, ganz Berlin kam; und selbstverständlich zählten wir zum Publikum. Welch ein labyrinthisches Gemäuer! Nach den Plänen des Architekten Franz Schwechten, der wenig später die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche entwarf, war viel Backstein vermauert worden, um diesen Gebäudekomplex zu türmen. Auslauf und Räume im Übermaß. Mit Türmchen und Zinnen, als habe man eine Stauferburg bauen wollen, umstanden das Kesselhaus, die Wasch- und Umkleideräume, der ehemalige Pferdestall, das Lagerhaus und was noch zur Brauerei
Weitere Kostenlose Bücher