Ein weites Feld
sagten genug und mehr. Weder Flöte und Buch noch Stock mußten als Requisit herhalten. Jetzt erst trat Katte auf, den ein irregeleiteter Brief verraten hatte und der, angesichts der kronprinzlichen Stümperei, die Hände rang, weil er als Fluchthelfer kenntlich gemacht worden war; aber allein fliehen und den Kronprinzen im Stich lassen wollte er nicht. Zuerst ließ der Vater den Sohn arretieren, dann sah man Katte verhaftet, wobei der vom Unsterblichen in seinem Tragödienbericht überlieferte Satz »Katte übergab, ohne die Farbe zu wechseln, seinen Degen« im Pantomimenspiel besonderen Ausdruck verlangte. Nach dumpfem Trommelschlag hatte nun Prinzessin Wilhelmine, die liebevoll am kronprinzlichen Bruder hing, ihren Auftritt. Sie sah Kattes Verhaftung mit Anteilnahme, denn als dieser dem König vorgeführt wurde, machte er als Mime deutlich, was die Prinzessin gesagt haben soll: »Er war bleich und entstellt.« Abermals erlebte man einen wütigen Friedrich Wilhelm. Er riß dem Verhafteten etwas – es war ein Orden, das Johanniterkreuz – von der Brust und prügelte den Unglücklichen, der am Boden lag. Zusätzlich trat er ihn, bis sein Opfer unter den nur gespielten Schlägen und Tritten erbebte. Wirbel und Schlag: in größerer Pantomimengruppe fand sich – die beratenden Köpfe eng beieinander – das Kriegsgericht ein, dessen Urteil, Katte betreffend jedoch vom König zerrissen wurde. Nicht ewige Festungshaft, Tod durch das Schwert sollte die Folge sein. Und wie der Unsterbliche, in Vorarbeit zu seinem Küstrin-Aufsatz, eine späte Verwandte des Leutnants, Marie von Katte, brieflich befragt hat: »Vor allem, wie steht’s mit dem Richtschwert?«, so stellte sich jetzt den Pantomimen die Frage: Reicht die scharf kappende Geste, oder muß ein Requisit das Haupt vom Rumpf trennen? Als das Trio mit inzwischen mehr Zuschauern die Hinrichtung Kattes erlebte, hatte das Baugerüst in Potsdams Holländerviertel das Küstriner Schloß darzustellen und wurde der Mime Katte, während er kniete, durch gezielten Hieb mit der Hand so eindrucksvoll auf dem Podest enthauptet, daß man glaubte, inmitten Stille, denn die Trommel enthielt sich, den Kopf poltern zu hören. Zuvor war der Kronprinz hinauf ins Gerüst gezwungen worden, auf daß er sah, was geschah. Gerade noch fand er Zeit, seinem armen Freund die berühmte Kußhand zuzuwerfen, die Katte mit letztem Blick auffing. Dann brach Friedrich, dem Wilhelmine zur Seite stand, zusammen: ein bibberndes Häufchen Unglück. Die Trommel wurde in schleppendem Takt gerührt. Madeleine weinte. Fonty sagte: »So ähnlich ist es geschehen, kolossal herzergreifend und so rechtens wie ungerecht.« Hoftaller vermißte im Tragödienverlauf die pädagogische Wirkung der Strafaktion. Doch dann ging nach kurzem, kriegerisch anschwellendem Trommelwirbel das Spiel weiter. Während über den gerichteten Katte ein weißes Tuch gebreitet wurde, erhob sich der soeben noch mit gebrochenem Herzen am Boden liegende Kronprinz und wuchs über sich hinaus. Das Mädchen in ihm gefiel sich als junger Mann, der akrobatisch im Baugerüst turnte. Er machte clowneske Faxen, sprang, einen Adlerflug andeutend, aufs Podest, überhüpfte die abgedeckte Leiche des Freundes, lief auf den Händen, brillierte mit Salto und Flickflack, brach zwischendurch sinnbildlich Kriege vom Zaun, zerfetzte Verträge, raubte Provinzen, schlug Schlachten im Dutzend, schritt, nun geübt, über gehäufte Leichen hinweg, scheuchte den Pantomimenchor Preußens zahlreiche Feinde – mal hier-, mal dorthin, wurde gescheucht und gab sich dennoch nicht geschlagen, war vielmehr ganz und gar König nach seines Vaters Willen, hatte die ihm erteilte Lektion begriffen, herrschte mit strenger Hand, gab aber am Ende, so zynisch lautlos er grinste, einen einsamen todtraurigen Helden ab, der seiner Raubzüge nicht froh wurde, sich und die Menschen verachtete und nur noch zittrig und gichtgekrümmt mit seinen Hunden spielte. Makaber punktierte die Trommel den verzögerten Herzschlag, verstummte. Als sich die Pantomimen verbeugten, waren schon etliche der wenigen Zuschauer gegangen. Fonty, der, von Madeleine mitgerissen, Beifall geklatscht hatte, sagte über Hoftaller, der keinen Finger rührte, hinweg: »Bleibe dabei. Mein Held heißt Katte.« Als das Trio den Schauplatz der Tragödie und zugleich Potsdams Holländerviertel verließ, suchte er wieder und fand die Hand seiner Enkeltochter.
Die Rückfahrt im Trabi verlief, wenn man vom Stau vor der
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