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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ausgesperrt wurden. Hoftaller und Madeleine hatten Fonty in die Mitte genommen. Mag sein, daß sein Auftritt mit Hut, Stock und leichtem Paletot Respekt abnötigte. Jedenfalls öffnete sich im größten Gedränge der Weg. Ältere Personen grüßten. Einige zogen die Schirmmütze. Man glaubte, in ehrwürdiger Gestalt Preußens Tugenden zu begegnen. Das Wort Aura schien angebracht. Sogar Fontyrufe waren zu hören. Und Hoftaller, der an all dem Glanz ein wenig teilhatte, sagte: »Sehen Sie, Mademoiselle, hier ist Ihr Herr Großvater jemand. Hier schätzen die Leute ihn richtig ein. Er, nur er hätte vor den Hohenzollernprinzen und all den geladenen Gästen ne Rede über Preußens Größe und Niedergang halten dürfen. Aber das läßt sich nachholen. Vor viel Publikum. Weiß schon, wo …« Als sich die Fontyrufe mehrten – jemand rief: »Fonty ist unser König!« –, war es dem Gefeierten zuviel. Er bat seine Enkeltochter, ihn über Nebenstraßen in ein stilleres Viertel zu führen; so kamen sie ins holländische Quartier, eine schlichte Bebauung aus Zeiten des ersten Friedrich Wilhelm, der Holländer als gesuchte Handwerker ins Land gerufen hatte. Das geschah aus naheliegenden Gründen, denn der königlichen Familie war, aus kurfürstlichen Zeiten herrührend, ein holländischcalvinistischer Zweig nachzuweisen; fremd lebte sie inmitten märkisch-lutherischer Enge und wurde ohne religiösen Vorbehalt allein von den Hugenotten hofiert, während der borussische Adel die irrgläubigen Eindringlinge ablehnte; nur auf Befehl wurde pariert.
    Fonty kramte im historischen Fundus. Und Madeleine war bei ihrem Thema. Die kürzlich abgelieferte Magisterarbeit hatte ihr als Note eine »mention très bien« eingebracht. Wenn wir hinzufügen, daß mit dem Abschluß ihrer Anmerkungen zu des Unsterblichen hugenottischem Unterfutter auch die Affäre mit ihrem verheirateten Professor ein Ende fand, sagen wir das mit Erleichterung und ganz in Fontys Sinn, der, als sich das Trio endlich im Holländerviertel allein fand, plötzlich die Hand seiner Enkeltochter suchte: »Ach, Kind, du weißt, von glühenden Küssen, so daß die ganze Stube davon warm wird, findet sich bei mir keine Spur, aber deine Liebe wärmt meine alten Knochen.« Er ließ selbst dann nicht von ihrer Hand, als er mit dem Stock auf einige der einförmig schlichten Bauten wies, die sich seit Zeiten des Arbeiter- und Bauern-Staates in Renovierung befanden und nun zu Schmuckstücken veredelt werden sollten: »Schau nur! Überall Baugerüste! Man sollte meinen, hier geht’s voran.«
    Und vor einem dieser Gerüste tat sich etwas. Schauspieler, offenbar Pantomimen, waren dabei, ein Stück aufzuführen; noch blieb unsicher, ob Komödie oder Trauerspiel. Nur wenige Zuschauer, zu denen nun das Trio gehörte, standen in lockerem Halbkreis um ein Podest, das aus Blechtonnen und abdeckenden Gerüstbrettern erstellt worden war. Der Aufschrift eines seitlich stehenden VWKombi konnte abgelesen werden, daß es sich um Studenten handelte, die von Küstrin, das seit Kriegsende Kostrzyn hieß, angereist waren, um in schwarzen Trikots und mit weißgeschminktem Gesicht auf ihre Weise die Heimkehr der königlichen Knochen zu feiern. Noch geschah nichts, nur eine Trommel gab mal auftrumpfend, mal schleppend Laut. Sie sollte dem Lauf des Spiels folgen. Später kamen Wirbel und den Szenenverlauf markierende Einzelschläge dazu. Alles andere hatte stumm zu bleiben. Es wurde, als hätte Fonty die polnische Schauspielergruppe unter Vertrag genommen, die Tragödie des Leutnants vom Regiment Gendarmes Hans Hermann von Katte gegeben. Das stand in roten Buchstaben auf einem weißen Transparent, das nun zwischen den Stützen des Baugerüstes gespannt wurde. Da alle Pantomimen uniform geschminkt und gekleidet waren – die Augen im kalkigen Weiß der Gesichter schwarz umrandet, die Münder erdbeerrot in die Breite gezogen –, mußte man anfangs raten, um dann zu begreifen: Das ist der dicke Soldatenkönig, der die Flöten seines immerfort Flöte spielenden Sohnes zerbricht, dessen Bücher zerreißt und ins Feuer wirft; denn jener oder jene -offensichtlich spielte ein weiblicher Mime diese Rolle -ist der Kronprinz, den nun der königliche Vater dergestalt wutentbrannt verprügelt, daß Friedrichs überlieferter Satz »Sie haben mich nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen gemeinen Sklaven behandelt« den gespielten Fluchtversuch des Kronprinzen hätte zusätzlich motivieren können. Doch Gestik und Mimik

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