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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nach – das mißglückte Sturmläuten –, stand nach leichtfüßigem Zeitsprung auf dem Alexanderplatz und sprach zur fünfhunderttausendköpfigen Menge, übersprang dabei manches, zum Beispiel die Reichsluftfahrt, hatte aber alles, was nach ihr kam, fest im Auge: nicht, daß er den Arbeiter- und Bauern-Staat, dessen Aufbau, Niedergang, Abriß gespiegelt hätte, vielmehr blieb er weiterhin sprunghaft, war beim Vormärz und 17. Juni zugleich, sagte: »Was ich nach dem elften Plenum weder in Hoyerswerda noch sonstwo im Manuskript haben durfte, gilt dennoch bis heute: Auf Dauer kann man kein Volk an der Leine führen …« Ihm war nichts vergangen. Er vermengte des Schwefelgelben »aus Blut und Eisen gepanschte Reichsgründung« mit dem, wie er aus herbeigeredetem Zorn rief, »überzuckerten Einheitsbrei der gegenwärtig regierenden Masse«, bewitzelte einen Minister namens Krause, den man »nach siebzigeinundsiebzig prompt geadelt hätte«, schimpfte plötzlich über Schriftsteller, wobei ihm, wenn er auf Wildenbruch oder Brachvogel zielte, zeitgenössische Größen ins Visier gerieten: Er nannte den letzten Verbandspräsidenten der schreibenden Zunft einen »Skribifax, den Gott in seinem Zorn erschaffen hat«. Danach kam Fonty wieder in ruhiges Fahrwasser, ermüdete aber das Publikum ein wenig und immer mehr, als er, seinen Wanderungen auf der Spur, langatmig abschweifend ein Dutzend märkische Schlösser aufsuchte, dabei borussische Stammbäume entblätterte und sich zwischen obskuren Adelsquerelen und mittlerweile baufälligen Herrensitzen verlor. Schon kam im Saal Unruhe auf. Zwischenrufe wurden laut. Jemand rief: »Mach mal nen Punkt, Fonty!« Da sagte er: »Und all das und noch mehr steht nun unter Treuhand. All das soll, Schloß nach Schloß, auf Geheiß der Treuhand verscherbelt werden und darf nicht mehr des Volkes Eigentum sein; die Treuhand macht’s möglich!«
Wir waren besorgt und befürchteten mit Madeleine, deren Finger im Schoß das Taschentuch knüllten, daß sich Fonty verlieren könnte. Sollte man ihm ein Stichwort zurufen? Madeleine flüsterte in Richtung Stehpult: »Jetzt auf die Hauptsache kommen, Großpapa …«
»Richtig«, stimmten wir bei, denn bis dahin hatte er das Eigentliche, das Spätwerk des Unsterblichen, die Romane und Novellen, wie aufgespart zurückgehalten. »Ich bin schlecht literaturbewandert«, hörte man ihn kokettieren. Ein einziges Mal nur hieß es: »Die Honorarabrechnung für ›Irrungen, Wirrungen‹ machte dreitausendundfünfzig Mark.« Und gleich darauf, eher beiseite gesprochen: »Schrieb damals an Schlenther: ›Eben war eine Dame hier von etwa sechsundvierzig, die mir sagte, sie sei Lene, ich hätte ihre Geschichte geschrieben …‹« Mehr, außer »Sie muß mal sehr hübsch gewesen sein«, kam nicht über Lene Nimptsch. Doch nun, kaum hatte sich Fonty mit der alles möglich machenden Treuhand das Stichwort gegeben, entwarf er ein literarisches Fest sondergleichen. Mit Blick übers Publikum weg stand er frei redend in seinem abgetragenen Vortragsanzug, dem Bratenrock. Tropfengroß hatte er das Ordensbändchen der »Compagnons de la Résistance« am Revers. Er war ganz von des Urhebers Gestalt und mit Unsterblichkeit gewappnet, als er rief: »Wußten Sie das schon? Ist Ihnen bekannt, meine Damen und Herren, daß heute, zu eben dieser Stunde, im ehemaligen Haus der Ministerien, vormals Reichsluftfahrtministerium, die uns so gegenwärtige Treuhandanstalt illustre Gäste geladen hat? Aus besonderem Anlaß. Es soll nämlich die tausendste Abwicklung gefeiert werden. Wenn das kein Grund ist! Und zu diesem Fest hat man sich kostümiert. Unter dem Motto ›Frau Jenny Treibel läßt bitten‹ eingeladen, versammelt man sich in allen Stockwerken, auf Korridoren und in lampiongeschmückten Sitzungssälen. Aus Romanen und Novellen, sogar aus Nebenwerken sind Gäste erwünscht. Kaum vermag ich alle zu nennen, so viele haben Frau Jenny Treibel die Ehre gegeben; doch knappe Auswahl ist möglich. So sehe ich denn in bunter Reihe, was Rang und Titel hat, ob im Gehrock oder in Uniform, etwa den Leutnant Vogelsang mit dem Kommerzienrat und Gatten der Gastgeberin im Gespräch über Wahltaktik und Stimmenfang. Rex und Czako haben den jungen Stechlin mitgeschleppt. Nun halten sie Ausschau nach Armgard und Melusine. Natürlich darf nicht Gundermann fehlen, dem immer noch alles ›Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie‹ bedeutet. Siehe da: Effi und Lene, die eine unterm

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