Ein weites Feld
Brücke und von Umleitungen absieht, ohne Ereignis. Die ehemalige Garnisonstadt, nun Hauptstadt des Bundeslandes Brandenburg, entleerte sich, denn bei der feierlichen Grablegung des Königs auf der Schloßterrasse, die um Mitternacht stattfinden sollte, blieb das Publikum ausgesperrt: Nur die restlichen Hohenzollernprinzen, der Kanzler und das Fernsehen durften zum wiederholten Mal den testamentarischen Willen des zweiten Friedrich brechen.
Für uns ging ein normaler Archivtag zu Ende. Und Hoftaller, der uns berichtet hat, konnte unsere Zurückhaltung nur bestätigen: »Viel gab das nicht her, nichts von bleibendem Wert; vom ›Geist von Potsdam‹ keine Spur. Jedenfalls haben sich meine Mitfahrer ziemlich stumm verhalten, als es nach Hause ging. Versuchte, sie aufzumuntern. Zitierte sogar euren Brötchengeber, den Unsterblichen: ›Viel Geschrei und wenig Wolle.‹ Half aber nichts. Mademoiselle maulte: ›Wenn schon Rummel, dann richtigen mit Achterbahn und Riesenrad‹, tat aber so, als wäre ich für sie Luft oder nur Chauffeur gewesen. Richtig miese Stimmung. Erst als wir die Schönhauser runterfuhren und ich Ecke Knaack-, Dimitroffstraße hielt, gelang mir ne kleine Überraschung, denn am Eingang zur Kulturbrauerei hing schon frischgedruckt das Plakat. Naja, wollte Fonty ne Freude machen. Was er so lang nicht gedurft hat, endlich darf er vor Publikum wieder nen Vortrag halten: ›Kinderjahre‹, seine Genesungsschrift vom letzten Jahr, und zwar im Kesselhaus, da paßt ne Menge Leute rein. Hat sich riesig gefreut, als er das sah: seinen Namen fettgedruckt und daneben ›Fonty‹ – in Klammern kursiv. Natürlich hat er gleich einen seiner Sprüche losgelassen: ›Bin zwar kein Redner, aber wenn es denn sein muß …!‹ Nur Mademoiselle gab sich besorgt, angeblich wegen zu großer Anstrengung. Dann aber war sie plötzlich wie umgekrempelt: ›Und gleich danach machen wir unsere Erholungsreise, nicht wahr, Großpapa?‹ Zu mir sagte sie ziemlich spitz: ›Sie werden wohl nichts dagegen haben.‹ Ich darauf: ›Warum sollte ich? Von mir aus gerne. Reisende soll man nicht aufhalten …‹«
36 Diverse Brände oder: Wer hat gezündelt?
Nicht Fonty, Madeleine hat Hoftaller zu Kaffee und Kuchen in die Kollwitzstraße eingeladen. Man wollte den in der Kulturbrauerei angekündigten Vortrag in allen Einzelheiten besprechen, etwa die Frage: Tisch oder Stehpult? Als sie aber zu dritt im Poggenpuhlschen Salon saßen und Hoftaller nach dem ersten Stück Streuselkuchen gegriffen hatte, fragte die Enkeltochter, weil der Großvater schwieg, in andere Richtung, wobei sie wie immer sorgfältig ihre Worte wählte: »Dürfen wir, Monsieur Offtaler, bitte erfahren, wie Ihre weiteren Pläne lauten?« Kurz vorm Zubeißen bot er sein steinaltes rückbezügliches Lächeln an, hielt aber das mürbe Gebäck in der Schwebe, wollte nicht mit vollem Mund sprechen und bewies, so heißhungrig er zu sein schien, beste Manieren; bevor Hoftaller »Eine gute Frage« sagte, nahm er jedoch einen Schluck Kaffee. Dann erst erfuhren Großvater und Enkeltochter, daß ihr Gast jüngst unter die Studenten gegangen sei, um einen trotz der Semesterferien laufenden Sprachintensivkurs zu belegen: »Stellen Sie sich vor, ich auf der Humboldt-Uni. Drücke ne Schulbank, und das in meinem Alter. Dachte anfangs: Die werden dich auslachen, sind aber freundlich, die jungen Leute dort. Alle Anfänger wie ich. Man sagt immer, Spanisch ist überhaupt nicht schwierig, finde ich doch, vor allem die Aussprache …« Wie zum Beweis lispelte er. Er rollte das r, übte Rachenlaute. Kurze Sätze wie »Hasta la vista« gelangen ihm, die Aussprache des Wortes »información« bereitete Schwierigkeiten. Kein Wunder, daß Fonty die Sprechübungen seines Tagundnachtschattens »ridikül« nannte. Er wollte das Thema wechseln und auf den nahegerückten Vortrag kommen, aber Madeleine ließ nicht locker: »Und darf ich, ohne indiskret sein zu wollen, fragen, wofür und wo Sie Ihre Sprachkenntnisse benötigen werden?« Nun kaute Hoftaller. Er kaute mit geschlossenem Mund. Am runden Tisch sahen beide, wie ihr Gast kaute. Fonty saß auf dem Sofa unterm Großgörschenstich, Madeleine in einem der Medaillonsessel, als er mit nicht ganz leerem Mund sagte: »Nichts geht über Streuselkuchen. Doch wenn ich zuerst das Gebäck lobe, will ich Ihrer Frage, Mademoiselle, keinesfalls ausweichen …« Nun griff auch Fonty ein Stück. Er genierte sich nicht, mit Kuchen im Mund zu sprechen: »Raus
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