Ein weites Feld
nun mit Nervenfieber, und versuchte so unablässig seinen Ringfinger zu entlasten, daß man nicht hinsehen mochte. Später wurden wir von Emmi Wuttke auf eine Tasse Kaffee in die sogenannte »Gute Stube« gebeten, in der Marthas seit ihren Mädchenjahren verstummtes Klavier stand, auf dem sie mit Stücken von Chopin und Schumann »gut draufgewesen« sein will. Mit dem Sofa, zwei Medaillonsesseln, einem zierlichen Schreibsekretär, auf dem, ganz unpassend, Emmis elektrische Schreibmaschine stand, und mit einem weißlackierten Pfeilerspiegel samt eingelegter Goldleiste möbliert, hätte das Wohnzimmer den Poggenpuhls – »arme adlige Majorin mit drei Töchtern« – als Salon dienen können; und wir vom Archiv nannten die gute Stube auch »Fontys Poggenpuhlschen Salon«, zumal gerahmte Stahlstiche an den Wänden hingen, die Preußens Geschichte mit militärischen Szenen bebilderten, unter ihnen, direkt überm Sofa, das Gemetzel von Großgörschen, bei dem der Rittmeister von Poggenpuhl zu Ruhm gekommen war. Oft genug, - hatten wir Fontys abgewandeltes Selbstzitat gehört: »So wohnen wir und geben der Welt den Beweis, daß man auch in ganz kleinen Verhältnissen, wenn man nur die rechte Gesinnung und dann freilich auch die nötige Geschicklichkeit mitbringe, zufrieden und beinahe standesgemäß leben könne …« Und nun lag er im Fieber und zerrte am Ehering, während wir aus Meißner Porzellan Kaffee tranken. Eigentlich hatten die beiden Frauen den Kranken im Salon betten wollen, doch bestand Fonty mit letzter Kraft auf dem Bett in seiner Studierstube. Sie pflegten ihn zu zweit, bis Martha gleichfalls krank wurde; wie die uns brieflich überlieferte Mete neigte sie dazu, ihres Vaters häufige Unpäßlichkeiten, seine sommerlichen Depressionen und nun sein Nervenfieber so mitfühlend zu erleiden, daß Emmi bald zwischen der väterlichen Kammer und dem Zimmer der Tochter hin und her eilte: Beide Krankenlager, zwischen denen die Küche lag, hielten die schwergewichtige und immerfort seufzende Frau in Trab. Redete hier aus immer neuen Fieberschüben ihr Wuttke »lauter krauses Zeug«, weinte dort die Tochter vor sich hin und wollte die bevorstehende Hochzeit absagen oder zumindest aufschieben: »Bin noch nicht soweit. Kann das nicht, ganz ohne Perspektive leben …« Kein Wunden daß sich Emmi, die mit uns im Poggenpuhlschen Salon am Kaffeetisch saß, als mit »doppeltem Kreuz beladen« verstand. Ihr Leben war ihr ein Opfergang. Entsprechend häufig kam sie, zwischen Kurzbesuchen bei den Kranken, auf ihr oberschlesisches Herkommen zurück. Das Elternhaus geriet ihr zu einer Villa mit sieben Zimmern. Wintergarten und Park, der Stiefvater zu einem vermögenden Getreidehändler und die Mutter zur hochmusikalischen Pastorentochter, die sich leider »als junges Ding« von einem Klavierlehrer habe verführen lassen. Wir hörten, daß Emmi Hering nach Abschluß ihrer Ausbildung als kaufmännische Büroangestellte den väterlichen Getreidehandel hätte übernehmen sollen. »Wenn nich der Krieg dazwischengekommen wär …« Sie fühlte sich vom Schicksal betrogen. Der Krieg hatte ihr nicht nur den karriereuntauglichen Theo Wuttke beschert, sondern auch gegen Ende die Eltern genommen; und von Verlusten sprach sie besonders gerne: »Können Sie glauben: Richtige Schicksalsschläge waren das. Zuerst ging in Oppeln alles futsch. Dann sind Papa und Mutti nach Breslau, was ja die Hölle war als Festung im Endkampf und so. Sind beide nich rausgekommen. Nichts is geblieben. Alles futsch. Die schöne Villa. Und hinterm Park vier Getreidesilos. Und drei Gespanne hatten wir für die Fuhren. Alles Kaltblüter. Und Mutti spielte jeden Tag Klavier, auffem Flügel natürlich, wie unsere Martha früher, als sie noch geübt hat jeden Tag, bis mein Wuttke gesagt hat: Das reicht. Ich war ja schon in Berlin, als der Krieg losging. Nein, bei uns haben sich die polnischen Arbeiter nich beklagen gemußt, später och nich, als wir zum Reich kamen. Und daß ich, weil ich auffem Lyzeum nich richtig mitkam, in die Bürolehre ging, war Papas Wunsch, weil in Berlin seine Schwester, Tante Pinchen, mit ihrem Ernst-August wohnte. Von wegen Schuhmachermeister, besoffen war der meistens schon gegen Mittag. Na, hat ja keiner gedacht, daß es so ausgeht. Immer mehr Bomben. Doch inner Reichsluftfahrt, wo ich gleich nacher Lehre Anstellung fand, war es ziemlich sicher im Keller. Da hab ich och meinen Wuttke getroffen, nee, nich im Keller, im Paternoster. War
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