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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nachklang: »So nehme ich Abschied von Effi; es kommt nicht wieder, das letzte Aufflackern, was bleibt, ist ein zu weites Feld …« Man beschloß die Rückkehr nach Berlin, wo der Rat weiterer Ärzte eingeholt werden sollte. Schließlich ist es Dr. Delhaes gewesen., der, bei Verzicht auf jegliches Apothekenprodukt, den Fieberkranken wieder auf die Beine gebracht hat, indem er die an den Leiden der unglücklichen Effi entzündete Nervenkrise einfach wegredete: »Sind ja gar nicht krank! Ihnen fehlt nur die gewohnte Arbeit! Und wenn Sie sagen: ›Ich hab ein Brett vorm Kopf, die Puste ist mir ausgegangen, mit der Romanschreiberei ist es vorbei‹, nun, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie wieder gesund werden wollen, dann schreiben Sie eben was anderes, zum Beispiel Ihre Lebenserinnerungen. Fangen Sie gleich morgen mit der Kinderzeit an!« Das half, wie wir wissen. Während der Niederschrift des Buches »Meine Kinderjahre« genas der Unsterbliche; und bald danach war »Effi Briest« fertig. Fonty jedoch wurde nicht durch ärztlichen Rat aus dem Bett gescheucht, auch Frau und Tochter konnten sein Fieber nicht vertreiben; als schließlich Emmi erschöpft nach Bettruhe verlangte, war es Hoftaller, dem die gesundmachende Idee kam.

11 Mit gespitztem Blei
    Ihre Stimmen entflechten, geduldig das überlappte Gerede aufdröseln – oft hörten wir Mutter und Tochter zugleich. In der Küche standen sie, eine gepaarte Front. Beide Frauen verschränkten in Abwehr die Arme vor oder unter der Brust. Nur an günstigen Tagen wurden wir in die gute Stube, den Poggenpuhlschen Salon, gebeten. Doch in der Küche wie im Salon kam für Besuch Kaffee auf den Tisch. Manchmal gab es Streuselkuchen oder Bienenstich dazu. Die Frauen auf dem Sofa unter der gerahmten Schlacht von Großgörschen, wir in den Medaillonsesseln. Auch hier saßen sie mit verschränkten Armen. Inmitten der Sitzgruppe ein runder, einbeiniger Tisch, auf dessen Zierdecke außer dem Kaffeegeschirr eine Schale aus Karlovy Vary voller schrumpliger Äpfel stand und an eine lange zurückliegende Reise nach Karlsbad erinnern sollte. Bei jedem Besuch mißtrauten uns Mutter und Tochter ein Weilchen. Beide hielten sich wortkarg, bis sie dann doch, weil wir geduldig blieben, zu reden begannen. Das war kein Plaudern, wie es Fonty liebte, mehr ein sich in Schüben befreiender Stau von Sätzen, Halbsätzen und vergrabenem Wortmüll, der plötzlich zutage trat. Sie redeten vor sich hin, unterbrachen, widersprachen sich: ein auf Dauer abgestimmtes Duett. Wir durften Stichworte geben. Das Sommerlaub der Kastanie ließ dem Salon, dessen Fenster zum Hinterhof schaute, nur wenig gefiltertes Licht. Dämmerung schonte die Frauen, die, fettleibig die eine, hager die andere, von all den schweren Jahren – »Na, als es hier schlimmer und schlimmer wurde« – geprägt waren: grämlich und verhärtet.
    Man mochte nicht zusehen, wenn sie sich aussprachen, und gleichfalls redeten Emmi und Martha an uns vorbei; nur selten hatten das Archiv und die Wuttkes einander im Blick. Mein Kollege suchte zumeist den brüchig gerahmten Großgörschenstich nach entsetzlichen Szenen und heroischen Details ab, mein Augenmerk glitt immer wieder zum Pfeilerspiegel, einem Möbel, das in fast allen Romanen Blickfang ist und »Truineau« genannt wird. Zu den Vorlieben des Unsterblichen gehörte der von französischen Brocken und Floskeln durchsetzte Salonton, dem heute in allen Werkausgaben erklärende Fußnoten behilflich sein müssen; und wie zwangsläufig war von seinen Marotten die Rede, wenngleich es im Poggenpuhlschen Salon vordergründig um Theo Wuttke ging: »Im Prinzip lebt Vater alles noch mal durch, was längst schon verschütt ist …«
    »Man denkt, draußen kutschieren se noch mit ner Pferdebahn. Und nur Petroleumfunzeln gibt’s, kein bißchen Elektrisch …«
    »Als er noch fiebrig geredet hat, kamen bloß olle Kamellen hoch, na, seine Effi und ihre Briefe, und wie sich der olle Briest rausredet jedesmal, wenn’s knifflig wird …«
    »So ist mein Wuttke. Wie sein Einundalles, genau, nie festzunageln, flutscht einem glatt weg …«
    Da die Tochter rauchte, durften auch wir rauchen. Ähnlich waren die Frauen sich nur in ihren Dauerwellenfrisuren, die ein und denselben Friseur zum Urheber haben mochten. Gleichfalls familiär mutete ihre abwehrende Armhaltung an, die sie erst spät, doch nie ganz aufgaben. Schließlich redeten beide hemmungslos: »Man traut sich ja nich, muß aber endlich mal gesagt werden,

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