Ein weites Feld
aufs Spiel gesetzten Karriere
- »Bestimmt wär mein Wuttke Schuldirektor geworden« – kamen alle verpaßten Gelegenheiten auf den Tisch, die sich ab Ende der sechziger und bis Mitte der siebziger Jahre ergeben hatten, als dem verdienten Kulturbundreisenden ein Posten als Kreissekretär angeboten wurde. »Aber mein Wuttke sagte jedesmal: Liegt mir nicht sowas. Immer am Schreibtisch sitzen und Berichte schreiben. Außerdem wollt er nich nach Pasewalk oder noch weiter weg, nach Sachsen runter womöglich. Doch als die Genossen ihm sogar Potsdam und Neuruppin, was ja ganz nah liegt, angeboten und richtig gedrängelt haben, hat er sich wieder alles politisch verdorben. Na, erstens hätt er in die Partei reingemußt, wollt aber nich, und achtundsechzig soll er auf Vortragsreise wegen dem Einmarsch der sozialistischen Bruderländer gestänkert haben. Aber sechsundsiebzig, als ihm der Kulturbundsekretär noch einmal auffem Tablett serviert wurde, hat er in aller Öffentlichkeit gesagt: ›Sänger muß man singen lassen.‹ Und dann noch eins draufgesetzt: ›Biermann hier ist besser als Biermann drüben.‹ Und hat dann alles hingeschmissen, ›den ganzen Kulturkrempel‹, hat er gesagt. So ist mein Wuttke nun mal. Muß immer alles noch schlimmer machen, so schlimm, daß er dann überhaupt nicht mehr reden gedurft hat, denn bei der Selbstkritik vorm Kulturbund, als die Genossen ihm eigentlich haben helfen gewollt, ist er dem Parteikollektiv ziemlich hochnäsig gekommen: ›Kreissekretär‹, hat er gesagt, ›ist nicht meine Sache. Bin nicht befähigt für eine solche Stellung, vielleicht für etwas Dienstliches überhaupt nicht. Nur noch freiberuflich will ich, als freier Mann reden …‹ Das reichte den Genossen natürlich. Und nur, weil er wieder mal Fürsprache gefunden hat, fragen Sie nich, von wem, ist mein Wuttke grad noch als Aktenbote untergekommen.«
Wir vom Archiv können Emmis Zitat als Zeugnis bescheiden auftrumpfenden Hochmuts bestätigen, denn gleichlautend hat der Unsterbliche seinen Posten als ständiger Sekretär der Preußischen Akademie der Künste niedergelegt. Drei Monate lang gehäufte Mißlichkeiten, Pannen und zänkisch ausgetragene Intrigen reichten aus, um die Kündigung des gut dotierten Amtes im Sommer 1876 zu begründen. Sogleich nach Ostern hatte er, auf Wunsch seiner Frau und weil Freunde ihn drängten – auch weil der Kaiser diese Berufung gebilligt hatte –, den Dienst angetreten. Später schrieb er: »War so ziemlich meine schlechteste Lebenszeit.
Nichts als Ärger, Kränkungen. Als es damit vorbei war, war ich bescheiden genug, die Schuld in mir selbst zu suchen. Ich denke jetzt aber anders darüber …« Und Emilie? Sie hat ihren amtsuntauglichen Mann, der sogleich nach dem Rücktritt wie befreit aufatmete und seinen ersten Roman »Vor dem Sturm« zügig zu Ende geschrieben hat und fortan, gänzlich unbeamtet, nur noch freier Schriftsteller sein wollte, weder die Kündigung bei der Kreuzzeitung noch dieses Hinschmeißen von Amt und Würde verziehen; wie Emmi Wuttke nicht aufhören konnte, ihrem Mann vorzuwerfen, er habe sich absichtlich um Kopf und Kragen geredet und sich politisch aufgespielt, nur um an den langweiligen Kulturbundsitzungen und der bloßen Schreibtischhockerei vorbeizukommen. Dabei sei ihm, wie immer schon, die Familie schnuppe und seine spezielle Freiheit heilig gewesen: »Na, dies ewige Rumzigeunern auf Vortragsreise. Aber damit war sowieso Schluß. Grad zum Aktenschleppen war er noch gut. Geschämt haben wir uns. Und Martha hat hinterher geweint, als sie Vater im HdM besucht hat, wo er immer schwerbeladen die Korridore lang von Zimmer zu Zimmer und mit dem ollen Paternoster rauf und runter mußte …« Soviel stimmt: Nie wieder durfte Fonty mit Standardvorträgen unterwegs sein, die er zum Ruhme des Unsterblichen zwischen Ostsee und Erzgebirge, Elbe und Oder gehalten hat. Doch schon der Vortragsreisende, der immerhin ausreichend für die Familie gesorgt hat, ist Emmi fragwürdig gewesen. Er mache sich vorm Publikum zum Gespött, warf sie ihm vor: »Die reißen Witze über dich, Fontywitze!«
Wir hätten widersprechen können; so schlimm war es nicht. Gewiß, man lächelte, wenn in einem seiner Vorträge alle Romane aus pflanzenkundlicher Sicht durchjätet wurden und, gleich nach dem Heliotrop, den Immortellen signalhafte Bedeutung zuwuchs; man vergnügte sich hinter vorgehaltener Hand, wenn seiner verblüffend genauen Zitierkunst ironische Anspielungen auf die
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