Ein weites Feld
viel. Ein Roman wie ’Unwiederbringlich’ verlangt ein freies Gemüt …‹ – ›Nein, Wuttke!‹ hab ich gesagt. ›Du spinnst dir wieder was Abartiges zusammen. Das ist dein Feuertick. Richtig Angst kann man kriegen, wenn man das liest: ’Liebesbrunst gleich Feuersbrunst’. Aber die Leute lachen darüber nur …‹« Ähnlich kritisch sah die geborene Emilie Rouanet-Kummer ihres Mannes literarische Produkte. Dem jungen Dramatiker Gerhart Hauptmann, zu dessen Theatererfolg der Unsterbliche mit vehementer Belobigung des Erstlings »Vor Sonnenaufgang« beigetragen hatte, soll sie inmitten Berliner Gesellschaft gestanden haben: »Er hält sich für einen Schriftsteller. Na, da glaub ich nicht dran. Dafür reicht es wohl nicht …« Aber auch sie hat jahrzehntelang alle bleistiftgefüllten Manuskriptblätter leserlich abgeschrieben, und ihr Urteil – »Emilie meint, ich schriebe bei Nicht-Stoff in der Regel besser als bei viel Stoff …« – fand sogar Gehör. Es muß wohl Liebe gewesen sein, die Emilie und Emmi ein Leben lang anhänglich bleiben ließ. Und beide Frauen haben ihr mangelndes Verständnis durch Fürsorge wettgemacht, wobei sie mit ihrer Besorgnis oft laut klagend Teilnahme suchten.
Emmi Wuttke ist sogar zu uns ins Archiv gekommen, um das eine oder andere Vortragsmanuskript ihres Mannes, wie sie sagte, »streng wissenschaftlich« überprüfen zu lassen. Davon durfte Fonty natürlich nichts wissen. Sie vertraute uns. Wir durften sie nicht enttäuschen. Wenn Emmi kam, saß sie ein wenig verlegen auf unserem Besuchersessel und blätterte abwartend in einem Bildband, der Photos von märkischen Landschaften und Sehenswürdigkeiten zu bieten hatte. Sie sah traurig aus in ihrer körperlichen Fülle. Doch selbst dann, wenn wir sie beruhigen konnten, weil noch der kühn verstiegenste Vortrag Fontys sich als zitatsicher und stichhaltig bis ins verborgenste Quellenmaterial erwies, war Sorge um Wuttke Ausdruck ihrer Leidensmiene. Übrigens sind zweifelhafte, auch uns irritierende Details durch spätere Manuskriptfunde bestätigt worden. Aus zufällig entdeckten Briefen, darunter einige an Mathilde von Rohr, hat er vorahnend zitiert. Selbst aus verschollenen Tagebüchern gab er uns triftige Hinweise. Im Zweifelsfall war Fonty das bessere, weil lückenlose Archiv. Und was er nicht wußte oder verdrängt hatte, das konnte Hoftaller ergänzen; dessen Besuche waren allerdings peinlich. Wenn Emmi Wuttke uns verließ, war trotz günstigen Gutachtens nichts geschehen, das ihre Stimmung hätte aufheitern können. Fonty wußte zu klagen, daß er »oft wochenlang unter ihm angetragener Mißlaune bei bösem Gesicht« hat leiden müssen. Sie konnte unausstehlich sein. Wie Emilie sah sich Emmi als »zurückgesetzte Kreuzträgerin«, und beide glaubten sich zu Besserem, für ein Leben in Glück und Wohlstand geboren. Nur soviel stimmt: Oft war es knapp, doch Hunger haben die eine, die andere Familie nicht leiden müssen. Sparsam mußte man sein und sogar die Manuskriptblätter doppelseitig benutzen; doch notfalls fand sich immer jemand, der aushalf, Freund Lepel oder die Merckels. Und später, als es ganz schlimm stand, weil die »Nervenpleite« die Wuttkes heimgesucht hatte, war – wie vormals Tallhover – als Hausfreund Hoftaller zur Stelle.
Sogleich ließ er Fonty krankschreiben. Er sorgte dafür, daß im Haus der Ministerien vom »beunruhigenden Zustand« des in allen Stockwerken beliebten Aktenboten die Rede war. Überall, genauer gesagt, im Ostteil der Stadt sprach sich die Nachricht von der Erkrankung herum. So hörten auch wir davon, wenngleich Potsdam weitab liegt. Hoftaller riet zum Besuch in allerdings kleiner Delegation nur. Zuallererst fiel auf, daß Fonty, den wir fiebrig unruhig erlebten, häufig mit dem Ringfinger seiner linken Hand spielte, nein, nicht eigentlich spielte, er zog bei geschlossenen Augen am Ehering. Dann lag er wieder apathisch in der engen Kammer, die mit Schreibtisch und überbordenden Bücherregalen als »Vaters Studierstube« galt. Sein Bett, in dem er nun am Ehering zerrte, stand seit Jahren hier. Weil ursächlich schuldig gesprochen, hatte Theo Wuttke, gleich nach der Flucht der Söhne in den Westen, das elterliche Schlafzimmer räumen müssen; nur noch für Emmi war das Ehebett breit. Die kleine Martha zog in das Zimmer der Jungs. Und in Georgs altertümlichem Bettgestell, dessen Pfosten mit Messingkugeln bestückt waren und das die Studierstube noch enger machte, lag seitdem Fonty,
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