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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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sozialistische Gegenwart gelangen, etwa indem er Parteifunktionäre und Reisekader als typisch preußische Geheimräte und Reserveleutnants auftreten ließ; kopfschüttelnd, weil damals noch verblendet, hörten wir seine Thesen, nach denen die Zukunft des »vierten Standes« im Arbeiter- und Bauern-Staat zwar aufgehoben sei, doch weiterhin ungesichert bleibe; aber ausgelacht oder gar zynisch bewitzelt haben wir Fonty nie. Eher war es so, daß uns seine besessen vorgetragene Heiterkeit verlegen gemacht hat. Nie wußten wir genau, ob wir Zuschauer oder Komparsen einer Komödie waren, deren Autor gedoubelt zu sein schien. Fonty spielte mit uns, und weil dieses Spiel in oft trister Zeit Spaß machte, spielten wir selbst dann mit, wenn sein Vortrag über die reaktionäre Kreuzzeitung mit dem Titel »Wie man zum Wohle Preußens die eigene Meinung vermeidet« mehr als gewagt war, denn jedes Zitat ließ sich auf das Zentralorgan der Einheitspartei ummünzen, ohne daß Fonty Wortwörtliches aus dem staatstragenden Langweiler »Neues Deutschland« vorgetragen hätte. Nein, offene Provokation war nicht seine Sache und gleichfalls nicht Sache seiner dankbaren Zuhörer. Er zog Publikum an, indem er vieldeutig blieb, nur in Nebensätzen die Zeit schwinden und voraneilen ließ oder die »weißen Schimmel des sozialistischen Realismus« wie ein Zirkusdirektor durch die Manege trieb. Er machte sich mit dem Werk des Unsterblichen mehr plaudernd denn dozierend gemein, er bot Anlaß zum Lächeln und wurde uns dennoch nie lächerlich. Emmi Wuttke aber mußte diese Angleichung mit Sorge sehen. Je älter er wurde, um so detailgetreuer glich er dem Vorbild. Sie wagte das Fremdwort: »Er personifiziert sich schon wieder«; denn nie konnte sie sicher sein, beim Gespräch am Küchentisch ihren Wuttke zu hören, so geflissentlich Fonty seinerseits des Unsterblichen Hang unterdrückte, mit französischen Einschiebseln zu brillieren. Hinzu kam, daß Emmi immer häufiger Anstoß an seinem Äußeren nahm. Es stimmt schon: Er sah wie abgekupfert aus und hätte in Kino- und Fernsehfilmen, die übrigens in beiden Staaten produziert wurden, literarische Hauptfiguren darstellen können, so täuschend hatte er sich dem alten Briest, dem alten Stechlin und schließlich der weit älteren Originalvorlage genähert. Kein Wunder, daß Emmi klagte: »So redet doch mein Wuttke nich. ›Mit mir ist nich mehr viel los, Buschen‹, hat er neulich zu mir gesagt. Und wie er rumläuft. Immer den ollen Shawl rumgewürgt und mit Krückstock. Dazu die Haarflusen bis innen Nacken rein. Und dieser Hut! Is ja möglich, daß ihm der steht. Aber was heißt das, Bismarckhut? Is er nich. Nich Bismarck noch sonst wer. Is man bloß mein Wuttke, ein popliger Aktenbote, über den sich die Leute schieflachen.« Wir wissen von Fonty, daß er sogar die alltäglichen Abneigungen seiner Frau, ihren Ärger über Hut und »bismarckbraunen Überzieher« rückgewendet erinnert hat: »Meine Emilie sieht in mir einen vollkommenen Proletarier, der in einer Art Verkleidung herumgeht, und dann erwartet sie wieder eine Haltung von mir, als wäre ich aus einer unnatürlichen Kreuzung von Cato mit Goethe hervorgegangen …« Emmis Mängelliste war länger. Schon seine Vorträge waren ihr als »verquatschtes Zeug« zu zweideutig witzig gewesen. Sie könne das schließlich beurteilen, versicherte sie uns, denn ihr habe das schwer leserliche Bleistiftgekritzel jahrelang zur Abschrift vorgelegen: »Schon im Krieg seine ellenlangen Berichte aussem besetzten Frankreich. Die waren sogar lustig manchmal, über Kasinoabende in Schlössern und Luxushotels. Und nachem Krieg seine Vorträge alle. Fein säuberlich auf meiner alten Erika abgetippt alles. Gab ja nichts Neues. Hab mir viel später erst ne moderne von Robotron geleistet. Über Beziehungen. War ja Mangelware. Die hab ich heut noch. Dafür war ich gut. War immer nur seine Tippse. Aber gefallen, richtig gefallen hat mir das nich mehr, sein Gerede. Viel zu unwissenschaftlich, fand auch Martha, die ja jedes Buch von seinem Einundalles gelesen hat. Lauter Übertreibungen. ›Was soll das nu wieder?‹ hab ich oft genug zu meinem Wuttke gesagt. Weiß noch, muß Anfang Siebziger gewesen sein, als mal wieder ne Reinschrift fällig war. Wer soll das kapieren: ›Die Umschreibung sexueller Vorgänge als Feuersbrunst.‹ – ›Laß man, Emilie‹, hat er gesagt, ›das sind Feinheiten, die nicht dein Fall sind. Ich kenne das schon, und es schadet auch nicht

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