Ein weites Feld
erinnern. Deshalb hat er auch Hoftallers umfassende und über ein Jahrzehnt lang anhaltende Fürsorge gutgeheißen. Er sagte, während der Zigarrenrauch abzog: »Furchtbar richtig, daß man das junge Blut und sein noch gärendes Talent von der verfluchten Politik ferngehalten hat, wenngleich mir die bloße Vergötzung der Form genauso wenig schmeckt wie der nackte soziale Aufschrei. Doch schädlich sind solche sich immer wieder avant gebenden Spielereien gewiß nicht gewesen. Bleibt hübsch anzusehen, was man mit viel graphischem Geschick in der Lychener Straße produziert hat. Liebhabereien für Sammler! Immerhin wurden unsere Heißsporne dadurch gehindert, Dummheiten zu machen, wie wir dazumal. Haben über die Stränge geschlagen, als es im HerweghClub und den Vormärz lang darum ging, die Revolution in Verse zu zwingen und einander in Freiheitshuberei zu übertrumpfen. Und doch, war eine frische Zeit: ›Heraus nun endlich aus dem alten Gleise, das Leben steigt mit der Gefahr im Preise …«‹ Als die Tochter Martha bald nach dem Lüften dem Genesenden Tee und Kekse brachte, eilte sein Stift schon wieder übers Papier. Nun gingen auch wir, nachdem uns das weitere Ausschreiten der gedoppelten Kinderjahre mit nächsten Schritten gesichert schien. Jetzt war ihm in Swinemünde die Bepflanzung des Gartens hinterm himmelblau angestrichenen Haus wichtig. Er sah dessen Wildnis im Vergleich mit dem Schrebergarten des steindruckenden Vaters in Neuruppin, wo Möhren und Zwiebeln neben Kohlköpfen und zwischen rankenden Feuerbohnen wuchsen und wo in immer mehr Verschlägen Kaninchen gehalten wurden. Diese hier und dort betriebene Hobbygärtnerei war ihm ein Zwischenkapitel wert, das mit Reseda- und Ritterspornbeeten begann, zu einem baumhohen Berberitzenstrauch führte und schließlich eine »ziemlich baufällige Schaukel« ins Bild setzte, die anfangs von Geschwistern und Nachbarkindern in Schwung gebracht wurde, endlich jedoch und ursächlich auf Effi hinwies, wie sie uns überliefert wurde: »In ihrem blau- und weißgestreiften, halb kittelartigen Leinenkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen …« Es spricht für Fontys verzweigtes und selbst im Literaturbereich der Moderne streunendes Wissen, daß er gleich nach dem im Roman zum Motiv erhobenen Schaukelbild auf Samuel Becketts Einakter »Das letzte Band« kam, in dessen Spielverlauf der Monologist Krapp, bevor er die nächste Tonspule ablaufen läßt, vor sich hin brabbelt: »Sah mir die Augen aus dem Kopf, indem ich wieder einmal Effi las, eine Seite pro Tag, wieder einmal unter Tränen. Effi … – Pause – Hätte mit ihr glücklich sein können, da oben an der Ostsee, und die Kiefern und die Dünen Pause – Nicht?« Dem folgte als Kommentar: »Es gibt kein Glück, das länger als fünf Minuten dauert …« Und gleich danach wies Fontys russischgrüner Bleistift auf eine illustrierende Ätzradierung von Max Liebermanns Hand, der mit wenigen Strichen des einsamen Herrn Krapp letzte Verheißung des Glücks festgehalten hatte: wie des märkischen Adels unglücklichste Tochter, das Mädchen mit dem Matrosenkragen, wie Effi stehend wild schaukelt.
12 Auf chinesischem Teppich
Erstaunlich, was alles in der Studierstube Platz hatte: Rechts von der Tür stand als schlanke Röhre ein gußeiserner Ofen und links, mit Messingkugeln auf allen Pfosten, das Bett, das sich entlang der Wand zum Fenster hin streckte, so daß Fonty vom Kopfende aus einige Äste voller breitgefächerter Blätter sah, die selten ein Windstoß bewegte. An den Wänden hing in Griffhöhe überm Bett ein Bücherbord, das mit Historischem und längst vergriffenen Reiseführern, mit Thackeray, Scott, Dickens, zudem mit amerikanischer Literatur – Mark Twain, Bret Harte, Cooper beladen war; wohl nur des Titels wegen durfte sich ein Band Kafka dazwischendrängen. Mit Türen beiderseits und der Schublade über der offenen Mitte stand, zu einem Drittel vorm Doppelfenster mit Blick auf den Hinterhof und die Kastanie zu jeder Jahreszeit, der Schreibtisch und stieß mit der Längskante gegen die Außenwand, die nach rechts hin nur knappen Raum für das Bücherregal an der Langseite der Kammer bot. In ihm reihte sich Literarisches aus dem neunzehnten Jahrhundert, vermischt mit nachfolgender Literatur, so daß die Brüder Mann und Emile Zola, die Seghers Rücken an Rücken mit Turgenjew, Raabe und dem
Weitere Kostenlose Bücher