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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Tschechen Hrabal, zwischen den Bänden »Kindheitsmuster« und »Mutmaßungen über Jakob« der Wälzer »Soll und Haben«, neben »Berlin Alexanderplatz« Storms Poesie und die Gedichte der Bachmann, Müllers frühe Stücke gegen Hauptmanns »Weber« gestellt und Herweghs »Gedichte eines Lebendigen« Seite an Seite mit Schädlichs »Tallhover« in wie gewollter Unordnung standen; den zuletzt genannten Band, der Mitte der achtziger Jahre nur im Westen, bei Rowohlt, verlegt werden durfte, hatte Hoftaller, bald nach Erscheinen, Fonty mit den Worten geschenkt: »Ist schwierig, aber lesenswert. Stimmt im großen ganzen, nur nicht das Ende. Habe nie Todeswünsche geäußert. Hätte mit dem Autor gerne persönlich Kontakt aufgenommen, aber das Objekt Schädlich zog es vor, uns, den Arbeiter- und Bauern-Staat zu verlassen …« Der Bücherwand gegenüber, auf deren oberstem Bord Zeitschriften und Magazine gestapelt lagen und ein Globus stand, der, wenn man ihn anstieß, eine kolonial aufgeteilte Welt abrollen ließ, fand gerade noch, ans Fußende der Bettstatt gerückt, ein schmaler, vorn und seitlich verglaster Bücherschrank biedermeierlicher Herkunft Platz, der des Unsterblichen östliche und westliche Gesamtausgaben, diverse Biographien, des alten Marwitz Erinnerungen, Jes Thaysens Übersetzung von »Unwiederbringlich« ins Dänische sowie antiquarische Funde, unter ihnen Erstdrucke der »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«, und - wie dazugehörend – einige Bände Alexis aufbewahrte. Über dieser in Kirschholz gefaßten Vitrine, deren schlichte Form nur zuoberst von einer sanft geschwungenen Zierleiste geschönt wurde, hing gerahmt ein Neuruppiner Bilderbogen aus der Werkstatt Kühn, dessen Motiv die versammelte Ruhe der Büchervitrine irritierte, zeigte es doch Berlins im Jahr 1843 lichterloh brennendes Opernhaus in letzter theatralischer Steigerung; nur der im Vordergrund gestaute Menschenauflauf blieb angesichts der handkolorierten Festbeleuchtung gelassen, desgleichen nahmen die berittenen Offiziere vom Regiment Gendarmes keine Notiz von diesem allerletzten Spektakel. Ein schöner und mit Bedacht ausgewählter Druck; Fonty hatte es, wie wir wissen, mit Feuersbrünsten. Zwischen Vitrine und Fensterwand paßte gerade noch eine gleichfalls biedermeierliche Standuhr, die zwar ging, ohne sich heftig zu räuspern, deren Läutwerk jedoch stumm blieb, weil das Gewicht, aus welchen Gründen auch immer, ausgehängt war: ein schönes Stück aus heller Birke, das der verrinnenden Zeit einen heiteren Rahmen setzte. Vorm Fenster hingen, nie ganz geschlossen, durchsichtige Musselingardinen, die sich aus Tante Pinchens Erbe gehalten hatten, darüber, seitlich zu Falten gerafft, schwere Vorhänge, deren Ränder mit einer in Zöpfen und Trotteln, zur Mitte hin spitz zulaufenden Bordüre abgedeckt waren: Staubfänger von alters her. Vorm Schreibtisch stand auf leicht geschwungenen Beinen der Armstuhl, dessen Rückenlehne ein offenes Oval bildete. Und vom Stuhl zur Tür lief ein Teppich, den man besser Läufer oder Brücke nennen sollte, weil er den schmalen Durchgang zwischen Bett und Bücherbord auf sechs Schritt überbrückte.
    Fonty hatte dieses exotische Stück Mitte der fünfziger Jahre von einer Vortragsreise aus Eisenhüttenstadt mitgebracht: rotchinesischer Export aus neuester Produktion, dessen befremdliches Ornament aber inzwischen, die Gehspur lang, abgelaufen war. Nur an den Rändern der Teppichbrücke kringelte sich in Ranken und pflanzlichen Trieben viel Rosa, Limonadengelb, ausgewaschenes Blau und Grün, in dem Gift lagerte. Man hätte in dem Rankwerk Dämonen und züngelnde Drachen entdecken können. Über der rechten Hälfte des Schreibtischs hing, zwischen gerahmten Photographien, auf denen die historische Familie, Frau, Tochter, alle drei Söhne Motiv waren, die Reproduktion jener Liebermannschen Lithographie, die den Unsterblichen und gleichwohl Fonty abbildete. Auf dem Tisch war die Schreibfläche durch gestapelte Bücher, einen Stoß Briefe und einen regelmäßig durchlöcherten zementgrauen Baustein eingeengt, in dessen kreisrunden Hohlräumen Schreibutensilien steckten: viele Bleistifte, unter ihnen gesondert die russischgrün lackierten, eine Papierschere und zwei Schwanenfedern, die jüngst im Tiergarten ein Parkwächter Fonty geschenkt hatte; nun warteten sie, zugeschnitten als Federkiele, auf des Schreibers Hand, wurden aber nur selten, eigentlich nur bei Laune oder in besonderer Stimmung und dann

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