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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Sohn nur wenig Spielraum. Der eine erlebte das zum Haushalt gehörende Schweineschlachten, lief entsetzt davon und ruhte erst außerhalb der Stadt auf einem Hügel, der, zu seinem weiteren Entsetzen, vormals der Galgenberg gewesen war; dem anderen stanken zeitlebens die Fische, selbst wenn sie fangfrisch waren. Das aber hatten sie gemein: Wie jenem lange blonde Locken auf die Schultern fielen – »weniger zur eignen, als zu meiner Mutter Freude …« –, litt der andere unter blonder, nur seiner Mutter erfreulicher Lockenpracht. So kam es, daß beide in den ersten Schuljahren als »Engelsköpfchen« gehänselt wurden und beim morgendlichen Kämmen regelmäßig zu Tränen kamen. Und in beiden Fällen schmerzte die »rasche Hand« der Mutter. Auch sonst wurde geprügelt, wenngleich »der Lehrer Gerber« in der Neuruppiner Klippschule von seinem Namen keinen Gebrauch machte, während in der Volksschule allmonatlich der Rohrstock erneuert werden mußte. Beide Söhne betonten jedoch vor allem die Strenge der Mütter: Emilie und Luise bewiesen ihre Liebe durch Entzug.
Kleinmalerei und Gedächtniskrümel: indem sich Fonty nie aufdringlich, eher hinter diskreter Verkleidung in Vergleich brachte und wie auf Bilderbögen den Zeitverlauf raffte, hier sprang, dort auf der Stelle trat und dennoch mit den geschenkten Westbleistiften die frühen Neuruppiner Jahre kaum stockend niederschrieb, begann und bestätigte sich der Prozeß seiner Genesung. Frau und Tochter sahen dem staunend zu. Die Nachbarin Scherwinski sprach mit katholischen Wendungen von einem wahren Wunder. Martha Wuttke entschloß sich, ihre Nervenreizung gleichfalls abklingen zu lassen. Emmi ging vom Blasentee zum Milchkaffee über. Und wir vom Archiv erlebten bei Krankenbesuchen nur noch Gesundung und ein wachsendes Manuskript. Selbst Hoftaller, der neuerdings freien Zutritt hatte und jeden zweiten Tag vorbeischaute, war verblüfft von der wirkenden Kraft der Russischgrünen, die von der Nürnberger Firma Faber schon zu Zeiten des Unsterblichen als genormte Stifte auf den Markt gebracht worden waren. Natürlich saß der Genesende von Büchern umgeben. Links und rechts vom Stoß dicht beschriebener Blätter stapelten sich die Werke des Meisters, verlegt beim Aufbau-Verlag und ergänzt durch die Taschenbücher der Nymphenburger Edition, zudem die Reutersche Biographie, zweibändig und bebildert, mit Merkzetteln gespickt und greifbar für querverweisende Zitate. Und da in dem Band »Kinderjahre« bereits alles angelegt war, konnte Fonty weitere Parallelen ausreizen: Weil zum großen Feuer, bei dem die Scheunen vorm Rheinsberger Tor in Flammen aufgingen, ein Großbrand hinzukam, bei dem, Mitte der zwanziger Jahre, ein Holzlager am Stadtrand samt Sägewerk zunichte wurde, wirkte sich diese Frühprägung nicht nur in etlichen Novellen, Romanen und Gedichten aus; dem Chronisten von Brandkatastrophen und kleineren Bränden wurde ein Vortrag behilflich, der den Kulturbundreisenden Theo Wuttke schon Anfang der sechziger Jahre republikweit bekannt gemacht hatte und dessen Titel »Die Feuersbrünste in des Unsterblichen erzählerischem Werk« alles mögliche, sogar die Enthüllung der sonst sorgsam verdeckten Liebesbrunst versprach. Bei solch kühner Sprungtechnik ließ sich zwanglos von Grete Minde und der brennenden Stadt Tangermünde auf Ebba von Rosenberg und den Kaminbrand in einem dänischen Schloß kommen. Beleuchtet vom Flammenspiel wurde Frankfurts brennende Oderbrücke in Szene gesetzt. Und Lenes Liebesbriefe, die der schwache Botho verbrannt hat, ließen sich in Beziehung zu den verräterischen Episteln von Crampas’ Hand bringen, die das Dummerchen Effi leider nicht in den Ofen gesteckt hatte. Das alles war Zunder seit dem frühen Scheunenbrand und dem abgefackelten Sägewerk; das und noch mehr prasselte, brach funkenstiebend zusammen, wurde zu Asche oder ragte noch lange mit verkohlten Balken in das Vorratslager gemischter Erinnerungen.
Kein Wunder, daß Fonty darüber gesund wurde. Und dennoch waren seine Besucher, zu denen bald einige der jungen Poeten vom Prenzlauer Berg gehörten, verblüfft, ihn so tätig, sprühend, ja, glücklich am überladenen Schreibtisch vorzufinden. Wir waren weniger überrascht, doch jene zwei jungen Männer, die sich trotz gleichbleibend lastender Sommerhitze schwarzgekleidet bedeckt hielten, konnten nicht begreifen, wie es Fonty gelang, bei annähernd finalem Weltzustand so fröhlich zu sein. Während ihre der puren Literatur

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