Ein weites Feld
auf Briefbögen benutzt. Links vom durchlöcherten Stein stand neben dem Tintenfaß eine schmale gläserne Vase, in die Martha Wuttke, je nach Jahreszeit, einen aufblühenden Weidensproß, erste Dahlien, späte Rosen, den weihnachtlichen Mistelzweig steckte; und mit der Blumenvase korrespondierte, wie zum Stilleben gestellt, eine Briefwaage aus Messing, die auf marmornem Sockel stand. Hinterm Stein, wo die Tischplatte mit niedriger Säulenbalustrade an die Mauer stieß, wartete griffbereit Meyers Konversationslexikon in sechzehn Bänden; sie entsprachen jener Ausgabe, die, als Nachlaß des Unsterblichen, in Neuruppins Heimatmuseum aufbewahrt wird. Rechts davor standen ein zumeist von Bücherstapeln verdecktes Kästchen voller Karteikarten und eine Zigarrenkiste kubanischen Ursprungs, die für Büroklammern und Schnipsgummis, Briefmarken und den Radiergummi, für den Bleistiftanspitzer bestimmt war. Fontys Unart, beim Zuspitzen anfallende Holzlocken mitsamt dem Bleistaub in dieses Kästchen fallen zu lassen, brachte seit Jahren Ärger mit Emmi, die die Studierstube nur betrat, um sie sauber zu halten. Vielleicht haben wir Kleinigkeiten vergessen – manchmal stand eine gipserne Miniaturbüste Friedrichs des Großen zentral auf der Büchervitrine oder wie lästig zur Seite gerückt auf dem Schreibtisch –, doch kann die eine oder andere Rarität bei späterer Gelegenheit nachgetragen oder jetzt schon, weil wichtig, in den Blick gerückt werden: Fontys Lesebrille auf leerem Konzeptpapier, die uns an die runden und unauffällig gefaßten Gläser des Unsterblichen erinnert, der sich nie bebrillt hat malen oder photographieren lassen. Insgesamt glich die Studierstube, wenn auch in kleinerem Ausmaß und abgesehen vom Bett und der gerahmten Feuersbrunst, dem uns von Photos her gewissen Schreibzimmer in der Potsdamer Straße 134 c, doch wurden alle Zitate – Standuhr, Briefwaage, Vase und Büchervitrine – durch den rotchinesischen Läufer und dessen bonbonfarbiges Ornament in Frage gestellt; es kann aber sein, daß der weit größere türkische Teppich dem Mobiliar des Originalzimmers vergleichbar fremd gewesen ist. Weil Fonty und der Unsterbliche ein Faible fürs Exotische hatten, haben sie diesen Widerspruch an Ort und Stelle ausgelebt: Der chinesische Läufer und das türkische Stück luden zum Aufundablaufen ein, sie waren Reiseersatz. Der Teppich gestattete Expeditionen, der schmale Läufer nur Stippvisiten. Nicht nur deshalb war Fonty in seiner Filzkutte immer wieder die fünfeinhalb Schritt hin und her unterwegs. Beim Aufundab kamen ihm die passenden Worte. Er lief so lange, bis er mit nächster und übernächster Periode wieder den Schreibstuhl besetzen und Blatt nach Blatt füllen konnte. Mal um Mal trieb es ihn aus dem Stuhl auf den Läufer. Der erlaubte Wanderungen bei jedem Wetter. Auf dessen Wegstrecke durfte er ohne Tagundnachtschatten unterwegs sein. Der brachte ihn, so kurz er maß, zurück in die Kinderjahre.
Schon nahm die Zeit um 1830 gefangen. Preußen stagnierte in polizeistaatlicher Ereignislosigkeit, während ringsum die Welt mit Sensationen prahlte. Davon bekam der Zehnjährige Kenntnis vor Jahrmarktsschaubuden, in denen Guckkastenbilder, nach Vorlage der Neuruppiner Bilderbögen -»immer wieder Soldaten in gelb und rot, wenn es Russen waren, in grün« –, von Großereignissen Bericht gaben: wie Frankreichs Flotte vor der algerischen Küste aufkreuzte und unter Befehl des Admirals Duperre die Stadt Algier beschoß; wie nach so heftiger wie kurzer Revolution Louis Philippe als Bürgerkönig aufstieg; wie im Verlauf der Insurrektionskriege endlich doch die aufständischen Polen geschlagen wurden … »Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen«, zitierte Fonty mit Bleistift, »hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe …«, um dann die Begeisterung des Unsterblichen für Polens Freiheitskampf und die polenfreundlichen Poeme von Holtei bis Platen zu relativieren: »… weil ich - im gewissen Sinne zu meinem Leidwesen und jedenfalls im Widerstreit zu den poetischen Empfindungen – die Bemerkung daran knüpfen muß, daß ich vielfach nur mit geteiltem Herzen auf Seite der Polen stand und jederzeit ein gewisses Engagement zugunsten der geordneten Gewalten, auch die russische nicht ausgeschlossen, in mir verspürt habe.« Nach längerem Fußmarsch auf kurzer Teppichbrücke hob Fonty ein Zitat hervor, das ihm erlaubte, seine eigene Biographie in
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