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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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die Küche. Die Kaffeemaschine war an, also goß ich uns beiden
Kaffee ein und hörte, wie meine Freundin die Kleine steif fragte: »Möchtest du
ein bißchen Milch? Oder Saft?«
    »Cola?«
    »Light?«
    »Ja, bitte.«
    Anne-Marie holte die Cola, und wir
setzten uns an ihren Hackblocktisch. »Kriege ich nun die lange Geschichte zu
hören?«
    »Keine Zeit. Habiba kann dir später
alles erzählen.«
    »Später?« fragte sie mit einem
alarmierten Unterton.
    »Ja. Ich muß sie für eine Weile hier
unterbringen.« Ehe sie protestieren konnte, fragte ich: »Ist Hank da?«
    »Er ist vor ein paar Stunden zum
Duschen nach oben gegangen, aber es muß ihm wohl irgendwas dazwischengekommen
sein, weil ich vorhin Thelonius Monk gehört habe — eine neue soundverbesserte
CD-Version, die er sich am Freitag gekauft hat. Soll ich ihn über die
Sprechanlage rufen?«
    »Ja, frag ihn doch bitte, ob er
runterkommen kann.«
    Anne-Marie und Hank haben schon
frühzeitig in ihrer Ehe festgestellt, daß sie nicht zusammenleben können. Er
bezeichnet sie als Sauberkeitsfanatikerin; sie nennt ihn schlampig. Getrennte
Wohnungen im selben Haus und häufige eheliche Besuche haben sich für sie beide
als Ideallösung erwiesen.
    Sie ging zu der Sprechanlage, die die
beiden Stockwerke miteinander verband, und sprach leise hinein. Eine halbe
Minute später trat Hank durch die Wohnungstür. Er trug einen Frotteebademantel
mit einer beeindruckenden Zahl von Kleckerflecken und hielt einen großen
Kaffeebecher mit der Aufschrift »Staranwalt« in der Hand. Seine Augen hinter
der dicken Hornbrille wirkten verschlafen; wahrscheinlich hatte er zu Thelonius
ein kleines Nickerchen gehalten. Während er sich setzte, stellte ich ihm Habiba
vor. Ich fügte hinzu: »Sie braucht einen Anwalt.«
    Hank musterte sie gespielt-streng. »Was
hat sie verbrochen? Ich verteidige keine Papierchenwegschmeißer und keine
Leute, die ihre Leihbücher nicht zurückbringen.«
    Habiba kicherte.
    Ich sagte: »Sie will sich
möglicherweise von ihrem Vater scheiden lassen. Und vielleicht auch von ihrer
Großmutter.« Ich erläuterte kurz die Situation, ließ aber weg, daß Habibas
Vater ein Mörder war. Das würde ich ihm sagen, wenn Habiba uns nicht hören
konnte.
    Hank hörte aufmerksam zu und fuhr sich
mit der Hand über das lockige graubraune Haar. »Willst du das wirklich,
Habiba?« fragte er.
    »Ja. Mein Dad macht mir angst, und Omi
wird darauf bestehen, daß ich mit ihm nach Jumbie Cay zurückgehe.«
    »Und wenn wir es hinkriegen würden, daß
du bei ihr bleiben kannst?«
    »Das wäre okay.«
    »Und willst du, daß ich deine
Interessen vertrete?«
    »Ja, bitte.«
    »Dann solltest du wohl eine Anzahlung
leisten.«
    Sie runzelte die Stirn und sah mich an.
    »Ich leihe dir das Geld.« Ich holte die
gräßliche Muscheltasche unter dem Tisch hervor, wo ich sie hatte verschwinden
lassen. Anne-Marie fragte: »Wo in aller Welt hast du die her?«
    »Das ist ein Teil der langen
Geschichte.«
    »Habiba muß uns unbedingt alles
erzählen.« Sie taute jetzt auf und lächelte Habiba an. Habiba grinste
verschmitzt zurück.
    Ich fragte Hank: »Wieviel?«
    Er rechnete. »Siebzehn Dollar werden
reichen.«
    »Wie kommst du auf diese krumme Summe?«
    »Soviel kostet ein ordentliches Essen
für drei Personen aus dem Pollo Supremo. Anne-Marie hat mir gesagt, Habiba wird
ein Weilchen bei uns bleiben, und ich finde, das ist gerade das richtige für
ihr erstes Diner chez Altman-Zahn.«
    »Nichts dagegen zu sagen.« Ich zählte
siebzehn Dollar ab und reichte sie Habiba. Die wiederum gab sie Hank, und sie
besiegelten das Geschäft per Handschlag. Ich legte noch zehn Dollar drauf.
»Wofür sind die?« fragte Hank.
    »Eine Flasche Wein, auf meine Kosten.
Als kleiner Dank für eure Hilfe.«
    »Also, ich weiß nicht, Shar.« Hank
faltete die Scheine zusammen und steckte sie in die Tasche seines Bademantels.
»Du wirst allmählich zu vornehm für uns. Für zehn Dollar kriegt man ja sogar
schon eine Flasche mit einem Korken.«
     
    Zehn Minuten später fuhr ich auf der
Mission Street in Richtung Bernal Heights und versuchte mehrere Leute über mein
Autotelefon zu erreichen. Unter der Nummer von Micks Handy keine Antwort;
niemand in seiner Wohnung, bei mir zu Hause, im Büro. Greg Marcus hatte frei
und war übers Wochenende weggefahren. Ich versuchte es sogar bei Adah Joslyn,
für den Fall, daß die Nachricht im Web doch nur ein Jux gewesen war und meine
Freundin daheim in ihrer Küche stand und Charley sein

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