Ein wilder und einsamer Ort
»Nicht weinen, Sharon. Hy ist wieder wach!«
Ich hob den Kopf, drehte mich um,
wischte mir die Tränen aus den Augen und starrte meinen Liebsten an. Er sah
noch schlimmer aus als vorhin: Ein Schweißfilm überzog sein graublasses
Gesicht, und seine Augen waren stumpf und rot geädert. Sein Schnauzer zuckte,
weil er zu lächeln versuchte, und als er sprach, klang seine Stimme schmerzhaft
heiser.
»McCone«, sagte er, »das war die
mieseste Landung, die du je hingelegt hast, und jede Sekunde war mir ein Fest.«
Vierter Teil
Nordkalifornien
28.-30.
Mai
25
Wir verbrachten ein paar Stunden im
Bakersfield Memorial Hospital, bis Hy aufgenommen war. Ich sprach mit dem
zuständigen Arzt. Der Infekt, den Hy sich in Nicaragua geholt hatte, war
selten, aber — jetzt, da die richtige Diagnose vorlag — mit Sulfonamiden
behandelbar und würde ein paar Tage stationären Aufenthalt erfordern. Nach dem
Gespräch mit dem Arzt ging ich in Hys Zimmer; als ich ihm sagte, daß Habiba und
ich nach San Francisco fahren würden, sackten seine Schnauzerenden tiefer
herab. »Heiliger Strohsack, McCone, ich hätte nie gedacht, daß du mich in
Bakersfield sitzenläßt.«
»Du bist hier in sehr guten Händen, und
außerdem — was hast du gegen diesen Ort?«
»Na ja, als ich klein war und in Fresno
gewohnt habe, hat mein Daddy immer gesagt, wenn man an einem klaren Sommerabend
auf seiner Veranda sitzt, kann man riechen, wie Bakersfield alle anstinkt.« Er
hielt kurz inne. »Aber die Leute auf den Terrassen in Bakersfield haben
natürlich dasselbe über Fresno gesagt.«
»Dann mußt du jetzt eben diese alten
Vorurteile und Rivalitäten vergessen. Die Leute hier waren wirklich sehr nett
zu uns. Ich rufe dich an und komme dich holen, sobald du entlassen wirst.«
»Mit der Citabria?«
Ich zögerte.
»Mit Flugzeugen ist es wie mit Pferden,
McCone. Man muß sie sofort wieder besteigen.«
»Na, gut. Ich hole dich mit der
Citabria.« Ich küßte ihn schnell und ging, bevor er mir noch weitere
Versprechen entlocken konnte.
Ich sammelte Habiba im Schwesternzimmer
ein, nahm ein Taxi zurück zum Flughafen und wickelte die nötigen Formalitäten
ab — unter anderem einen Anruf bei der Flugzeugvermietung, um mitzuteilen, wo
und in welchem Zustand sich die Beechcraft befand. Dann nahmen wir auf Anraten
des Fluglotsen, der mir bei der Landung geholfen hatte, einen Mietwagen mit
Chauffeur von einer Firma namens ›Bring ‘em on Home‹, deren Fahrer statt
Uniform ein Cowboy-Outfit trugen — schließlich ist Bakersfield das Country
& Western-Zentrum Kaliforniens. Habiba und ich schliefen die ganze
Strecke bis zum Park & Fly-Platz beim Flughafen von San Francisco, wo
ich — vor Ewigkeiten — meinen MG hatte stehenlassen.
Anne-Marie Altman und Hank Zahn wohnten
in einem Zwei-Parteien-Haus an der Sechsundzwanzigsten Straße im
Noe-Valley-District. Es war die sicherste Zuflucht für Habiba, die mir einfiel.
Ich hatte nicht vorher angerufen; mein Ex-Chef und seine Frau waren meine besten
Freunde, und ich brauchte mich nicht voranzumelden. Anne-Marie öffnete mir die
Tür der unteren Wohnung in ihrem üblichen Freizeitoutfit aus knielangem T-Shirt
und Leggins; ihr keck-widerspenstiges Blondhaar stand in kleinen Punksträhnchen
ab, und sie trug kein Make-up. Sie schien nicht sonderlich überrascht, mich zu
sehen, sah aber mit kaum verhohlenem Mißfallen auf Habiba herab.
Anne-Marie, die als Anwältin für eine
Koalition von Umweltschutzorganisationen arbeitete, behauptete, Kinder noch
mehr zu verabscheuen als Tagebaugesellschaften oder Abholzungstrupps, aber ich
wußte es besser. Babys interessierten sie tatsächlich nicht — mich, um ehrlich
zu sein, auch nicht so wahnsinnig —, aber ich hatte ihr schon öfters ein
gewisses Faible für Kinder angemerkt, die bereits dabei waren, sich zu einer
Persönlichkeit zu entwickeln. Habiba, da war ich mir sicher, würde im
Handumdrehen ihr Wohlgefallen finden und zur auserwählten Schar von jungen
Menschen gehören, die meine Freundin respektierte, ja, sogar gern hatte.
»Und wer ist das?« fragte sie.
»Habiba Hamid«, sagte die Kleine und
streckte ihr die Hand hin. Weiter so, dachte ich. Das Kind hatte wirklich ein
Gefühl dafür, was bei Leuten zog.
Anne-Marie schüttelte ihr ein wenig
verdutzt die Hand. »Und was verschafft mir die Ehre?«
Ich sagte: »Das ist eine lange
Geschichte. Hast du einen Kaffee?«
Sie winkte uns herein und führte uns
nach hinten in
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