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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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eintraten, bedeutete
er mir, mich auf den Stuhl an seiner Seite zu setzen.
    Die Leuchtziffern am oberen
Bildschirmrand sagten 2 Uhr 40. Während ich mich setzte, ließ Morland ein Menü
durchlaufen: Öko-Freaks; Lesbenforum; Schriftstellerparadies; frisch
geschieden; über dreißig; schlimme Jungs; das Patriarchat schlägt zurück; Kampf
dem Streß; auf der Suche nach Liebe — eine scheinbar endlose Liste.
    »Was ist das?« fragte ich.
    »Chatrooms.« Morland bewegte den Cursor
zu einer Zeile ziemlich weit unten auf dem Schirm.
    DIPLOBOMBER.
    »Ist er das?«
    »Nein, das ist nur ein öffentlicher
Chatroom; dort sind achtzehn Leute, die über den Fall reden. Ich war drinnen,
habe mitgehört. Keine ihrer Theorien ist so absurd wie das tatsächliche
Geschehen.«
    »Können Sie mir die Sache mit diesen
›Räumen‹ erklären?«
    »Demnach sind Sie mit den Boards und
mit Live-Discourse nicht vertraut?«
    »Mein Computer dient ausschließlich
beruflichen Zwecken, und ich benutze ihn nur, wenn mein Assistent nicht
greifbar ist.«
    »Dann ist es ja gut, daß ich mit dem
Einstieg auf Sie gewartet habe.«
    Auf dem Schirm erschienen jetzt die
Worte WILLKOMMEN IM LIVE-DISCOURSE. Darunter waren zwei Optionen angegeben:
ÖFFENTLICHE RÄUME und PRIVATRÄUME.
    »Stellen Sie sich ein großes Haus vor«,
sagte Morland. »Oder besser gesagt, ein riesiges Anwesen. Mit Hunderten von
Räumen, von denen jeder einem bestimmten Gesprächsthema gewidmet ist. Im Moment
sind wir gerade erst in der Eingangshalle.«
    Die anderen Beamten waren im Raum
herumspaziert und hatten sich unterhalten, aber bei Morlands Worten verstummten
sie und scharten sich hinter uns.
    »Die meisten Räume in diesem Haus«,
fuhr Morland fort, »sind öffentlich zugänglich. Jeder Abonnent des
Online-Dienstes kann sie nach Belieben betreten und entweder mitreden oder nur
herumlungern und horchen. Aber jeder kann auch zu jedem Thema, über das er
kommunizieren will, einen Privatraum eröffnen, indem er einfach diese Option
wählt.« Der Cursor bewegte sich an die entsprechende Stelle. »Man benennt den
Raum mit einem Paßwort eigener Wahl, das aber nicht im Menü erscheint. Von der
Existenz dieses Raums wissen nur die Leute, an die man das Paßwort weitergibt.
Ich werde jetzt einen solchen Raum eröffnen, unter dem Namen, den der Bomber in
seiner letzten Mitteilung über die Boards angegeben hat.«
    »Moment mal — wenn er ihn auf dem Board
genannt hat, kennen ihn dann nicht alle anderen Abonnenten auch? Was hindert
sie...«
    »Dafür ist der Kerl viel zu gerissen.«
Morland lächelte grimmig. »Er hat uns aufgetragen, den letzten Satz seines
letzten Schreibens an die Azadis zu nehmen. Diesen Text haben wir nie publik
gemacht.« Er begann zu tippen.
    DENKT AN C. L.
    Ich sah auf die Leuchtziffern. 2 Uhr
42.
    »Das ist alles«, sagte Morland. »Wir
sind jetzt in dem Raum und warten auf ihn.«
    Ich sah mich im Geist in einem
finsteren Raum stehen, neben mir Craig, im Dunkel kaum zu erkennen. Da war eine
Tür, gerade so weit geöffnet, daß ein schmaler Lichtstreifen hereinfiel. Jeden
Moment würden sich Schritte nähern...
    Ich riß mich aus dieser Phantasie los,
krallte die kalten Finger fest um die Schreibtischkante. War ich schon in
Gefahr, in den Cyberspace abzudriften?
    Morland hatte meine kurzzeitige Absence
nicht bemerkt. Er sagte: »Dieser Service ist besonders schnell; die
Kommunikation läuft beinahe in Echtzeit ab. Wenn unser Mann sich einloggt und
den Raum betritt, wird er seine erste Botschaft eingeben und übermitteln. Sie
hören dann ein Signal, und seine Worte erscheinen auf dem Schirm. Sie sagen
mir, was ich antworten soll, und ich gebe es wortwörtlich ein. Wenn Sie nicht
wissen, was Sie sagen sollen, besprechen Sie sich mit Special Agent Parkhurst.
Lassen Sie sich Zeit; Verzögerungen sind normal.«
    2 Uhr 43.
    Ich sagte leise: »Ich habe Parkhurst
gerade meine Ermittlungsergebnisse mitgeteilt. Ich bin mir so gut wie sicher:
der Bomber ist Khalil Latif, der azadische Handelsattaché.«
    Morland sah mich scharf an und schüttelte
dann den Kopf. »Sie wußten also doch etwas, was wir nicht wußten. Was ist
Latifs Motiv?«
    »Das ist ziemlich kompliziert, und ich
bin, ehrlich gesagt, zu nervös, um jetzt darauf einzusteigen. Was ist, wenn ich
alles vermurkse?«
    »Sie werden es schon machen. Gehen Sie
einfach auf ihn ein, lassen Sie ihn sein Spiel genießen.«
    »Für ihn ist es ein Spiel.«
    Er nickte. »Ich habe eine Theorie über
solche Spielertypen.

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