Ein wilder und einsamer Ort
zusammenbringen, bevor Hamid das Land wieder verläßt.«
Er suchte das Dunkel um uns ab, als
dächte er, die betreffende Person könnte irgendwo zwischen den Bäumen lauern.
»Sie lügen mich an.«
»Inwiefern?«
»Niemand, den Sie kennen, will etwas
von Hamid. Der einzige, der außer Ihnen hinter ihm her ist, ist der
Diplobomber.«
Ich zögerte, suchte nach einer Antwort,
mahnte mich zur Vorsicht. »Was wissen Sie von dem Diplobomber?«
»Nur das, was in den Nachrichten kam
und was Hamid mir erzählt hat. Ich weiß von dieser Frau, die Hamid umgebracht
hat, und von den Drohungen, mit denen der Bombenleger die Azadis jedesmal
tyrannisiert, wenn er zuschlägt.«
»Weiß Hamid, wer der Bomber ist?«
Er schüttelte den Kopf.
»Aber den Mord hat er zugegeben?«
»Ja.«
»Und Sie lassen ihn hier wohnen, obwohl
er eine Freundin von Ihnen umgebracht hat?«
»Eine...?«
Er wußte es nicht. »Die Frau, die Dawud
vergewaltigt und erwürgt hat, war Chloe Love.«
»Chloe... Chloe ist tot?«
»Ja, sie wurde im Januar neunundachtzig
ermordet. Hamid war der Hauptverdächtige, kam aber aufgrund seiner
diplomatischen Immunität ungeschoren davon. Daß er Ihnen erzählt hat, er habe
eine Frau getötet, dürfte wohl den letzten Zweifel an seiner Schuld
beseitigen.«
Aber Newton hörte nicht zu; er wirkte
abwesend, als sei die Nachricht von Chloes Ermordung mehr, als er verkraften
konnte.
»Alles okay?« fragte ich.
Er hob in einer fahrigen Geste die
Hand, den Blick in das Dunkel hinter mir gerichtet.
Ich sagte sanft: »Wollen Sie nicht die
Polizei rufen, Mr. Newton? Und Hamid ausliefern?«
»Wozu? Sie haben doch selbst gesagt,
daß sie ihm nichts anhaben konnten.«
»Die Zeiten haben sich geändert. Es
könnte ein Präzedenzfall werden. Die Justiz beginnt gerade, kriminelle
Handlungen von Diplomaten zu verfolgen; letztes Jahr hat die Staatsanwaltschaft
Anklage gegen den irischen Generalkonsul erhoben, als er in betrunkenem Zustand
einen Unfall verursacht hat, bei dem viele Menschen verletzt wurden. Und hier
handelt es sich um ein wesentlich schwerwiegenderes Verbrechen.«
Wieder machte er diese fahrige Geste.
»Ein Anwalt von dem Kaliber, das Hamid sich leisten kann, würde ihn da
garantiert herauspauken. Wieso sollte ich etwas in Gang bringen, was doch
nirgends hinführt?«
Das war genau die Antwort, die ich mir
erhofft hatte. Ich wollte Hamid nichtsahnend und sicher hier in Newtons
Bungalow wissen; er war mein einziges Unterpfand gegenüber dem Bombenleger — Khalil
Latif, wie es schien.
»Mr. Newton, können Sie Hamid hier
festhalten?«
Er zuckte die Achseln. »Nicht, wenn er
nicht bleiben möchte. Er ist jünger und stärker als ich.«
»Und wenn Sie ihm sagen, jemand, der
etwas über den Verbleib seiner Tochter weiß, möchte sich morgen vormittag mit
ihm in Verbindung setzen? Würde ihn das zum Bleiben veranlassen?«
»Wahrscheinlich schon, wenn ich
nicht... wenn ich mir nicht anmerken lasse, was ich von Ihnen erfahren habe.
Und das könnte schwierig werden.«
»Bitte, versuchen Sie’s. Der
Bombenleger weiß, daß Hamid heute nachmittag nicht im Konsulat war. Er hat eine
Nachricht im Techno-Web hinterlassen — wissen Sie, was das ist?«
»Ja.«
»Er hat angekündigt, daß er demnächst
seine Forderungen stellen wird. Und er will mit Sicherheit Hamid, im Tausch
gegen die Polizeibeamtin, die er in seiner Gewalt hat.«
Newton sah nervös zur Eingangstür
hinüber. »Sie würden ihn ausliefern? Einfach so?«
»Ohne mit der Wimper zu zucken. Die
Polizistin ist eine Freundin von mir.«
»Aber das ist doch so was wie...
kaltblütiger Mord.«
»Nein, Mr. Newton, es ist eher so was
wie Gerechtigkeit.«
Er schien darüber nachzudenken, und
nach kurzem Schweigen nickte er. »Na gut, ich werde Hamid hier festhalten, wie
Sie’s vorgeschlagen haben — und wenn das nicht klappt, werde ich mir etwas
einfallen lassen.«
»Danke.«
Er wandte sich ab, blieb dann stehen,
die Hand auf dem Türknauf. »Haben Sie irgendeine Vermutung, wer der Bomber
ist?«
»Ich denke, ja: Khalil Latif, der
Handelsattaché am Konsulat. Er ist ein ausgezeichneter Schauspieler; er hat
seine wahren Gefühle außerordentlich gut verborgen.«
»Dann sollte ich wohl von ihm lernen«,
sagte Newton. »Nach dem, was Sie mir heute abend erzählt haben, werde ich meine
Gefühle strengstens im Zaum halten müssen.«
28
Ich zog mich in das Eukalyptuswäldchen
zurück und beobachtete Newtons Bungalow. Kein Zeichen von Aktivität im
Weitere Kostenlose Bücher