Ein wilder und einsamer Ort
hinteren
Raum, wo Hamid schlief, und nach einer Weile ging auch das Licht im Wohnzimmer
aus. Ich harrte noch etwa eine Viertelstunde auf meinem Posten aus, aber im
Haus blieb alles dunkel, und heraus kam auch niemand. Schließlich ging ich
durch das Wäldchen zu meinem MG zurück und rief Mick an. Nichts Neues im
Techno-Web.
»Es ist verrückt, Shar«, sagte er. »Ich
sitze hier mitten in der Nacht ganz allein vor diesem Bildschirm, und ich
fühle, daß Hunderttausende von Menschen dort draußen dasselbe tun. Wir warten
alle ab, was er als nächstes tun wird.«
»Glaubst du wirklich, daß so viele
Menschen das Geschehen verfolgen?«
»Klar doch — und nicht nur Polizei und
Presse. Auf den Boards ist der Teufel los. Nachts herrscht dort sowieso der
meiste Betrieb; die Leute sind einsam, und es gibt ihnen das Gefühl, Kontakt zu
anderen zu haben.«
Ich dachte an unseren Überlandflug und
an das lange, dunkle Stück zwischen Phoenix und Mirage Wells. Das nächtliche
Sprechfunkgemurmel hatte mir geholfen, mich nicht verlassen zu fühlen, während
Hy und Habiba geschlafen hatten.
»Na gut, behalte die Boards im Auge«,
wies ich Mick an, »aber du mußt bitte noch etwas für mich tun — Khalil Latif
ausfindig machen. Die RKI-Zentrale kann dir vermutlich sagen, wo er ist, wenn
du nicht verrätst, daß du in meinem Auftrag fragst.«
Mick sagte, er werde sich etwas
einfallen lassen, um an die Information zu kommen, und ich richtete mich auf
eine lange Oberservierungsnacht ein. Das kam auf der Liste der Dinge, die ich
an meinem Beruf nicht ausstehen konnte, gleich nach dem Papierkram, aber ich
durfte Hamids Spur nicht verlieren, und Mick mußte die Computerarbeit machen,
also fiel mir diese öde Aufgabe zu. Ach, wenn ich mir doch nur eine zweite
Kraft leisten könnte! Rae hatte in letzter Zeit davon geredet, All Souls zu
verlassen; sie wäre die ideale Person. Aber wie sollte ich das finanzieren? Von
der Belohnung, die das FBI auf den Diplobomber ausgesetzt hatte? Wenn ich davon
nur einen Teil beanspruchen könnte...
Langsam, McCone.
Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Der
Nebel begann in Schwaden dahinzudriften, gaukelte mir mehr als einmal vor, daß
dort eine Gestalt herumschlich. Es wurde kalt im Wagen, und ich mußte
feststellen, daß die Decke, die ich immer im Kofferraum liegen hatte,
rätselhafterweise verschwunden war. Ich gierte nach einer Tasse Kaffee, mußte
mich aber mit etwas alter Schokolade begnügen, die im Handschuhfach lag. In den
letzten Jahren hatte meine Leidenschaft für Schokolade nachgelassen; der
Hershey-Riegel sah aus, als sei er mehrmals geschmolzen und wieder erstarrt,
und so schmeckte er auch. Ich warf die Hälfte aus dem Fenster und beobachtete
weiter den Rand des Wäldchens und die Plankenbrücke. Niemand kam oder ging,
weder auf dem einen noch auf dem anderen Weg, und um Viertel nach eins war ich
vor Langeweile halb wahnsinnig.
Das Telefon surrte, eine willkommene
Abwechslung. »Ja, Mick?«
»Shar, halt dich fest! Der Bomber hat
sich wieder gemeldet. Er will mit dir persönlich kommunizieren!«
»Was? Wie?«
»Er ist von den Boards in den
Live-Discourse im Web gegangen. Und er will dich um Viertel vor drei online
haben. Die Sonderkommission hat hier angerufen; sie bereiten in ihrer Zentrale
alles für dich vor. Parkhurst will, daß du sofort kommst.«
»Du lieber Himmel.« Ich sah zur
Plankenbrücke hinüber. »Die Observierung — wir dürfen Hamid nicht entschlüpfen
lassen, und ich weiß nicht, ob Newton ihn halten kann, wenn ihm einfällt, daß
er weg will. Du mußt hier übernehmen.«
»Bin schon unterwegs; ich telefoniere
über ein Handy, das ich mir heute nachmittag von einem Freund geborgt habe.« Er
gab mir die Nummer durch, und ich notierte sie. »Fahr besser schon mal los. Es
wird schon nichts ausmachen, wenn ein paar Minuten niemand da ist. Hör zu: Die
Medien haben bereits spitzgekriegt, was läuft, und die Reporter scharen sich
vor dem Gebäude der Sonderkommission. Du sollst hinten herumfahren, durch das
kleine Gäßchen, das von der Larkin Street abgeht. Stell den Wagen bei dem roten
Müllcontainer ab. Craig Morland wartet dort und bringt dich nach oben.«
»Okay.« Mit pochendem Herzen griff ich
nach dem Zündschlüssel. »Ach, Mick, hast du Latif aufgespürt?«
»Keiner weiß, wo er steckt. Ich habe
mit Gage Renshaw persönlich gesprochen und mich für einen besorgten Verwandten
ausgegeben. Latif ist heute nachmittag zu Fuß vom Konsulat weggegangen, und
seither
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