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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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zu.«
    »Wie zum Beispiel?«
    Mr. Altagracia lächelte dämonisch und
griff nach einem Telefon, das, unter einem ungeordneten Haufen Zeitungen
vergraben, auf der Fernsehkonsole stand. »Wie zum Beispiel das Privileg, ihn
mitten in der Nacht anrufen zu dürfen.«
    Während er wählte, erhob sich ein
plötzlicher Wind, der die Bäume bog und schüttelte. Regen klatschte auf die Platten
der Terrasse und das Verandadach. Fast augenblicklich wurde die Luft kühl und
frisch, und es roch nach Ozon und Meer. In der Ferne zuckte Wetterleuchten.
    »Schechtmann«, sagte Mr. Altagracia in
das Telefon. »Wecken Sie ihn.« Er legte die Hand über die Sprechmuschel. »Seine
Leute kennen meine Stimme. Sie haben eine Heidenangst vor mir.«
    Gleich darauf horchte er auf. Wieder
lächelte er verschmitzt. »Klaus, Klaus — was für eine Sprache. Wenn Sie
glauben, ich wüßte nicht, was Schweinehund heißt, täuschen Sie sich. Und
ich wollte Ihnen gerade einen Gefallen tun...
    Nein, es hat nicht bis morgen Zeit. Ich
habe Besuch hier, eine Miss McCone. Aus dem, was sie sagt, schließe ich, daß
Sie sie erwarten... Ah, sieh an, jetzt interessiert es Sie plötzlich doch. Per
Wasserflugzeug? Nein, per Boot... Heute nachmittag, so um halb fünf, am Strand
in der Nähe Ihres Anwesens. Irgendwie hat es sie hierher zu mir verschlagen,
und wir haben geplaudert... Genau. Sie ist eine sehr resolute junge Frau, aber
ich denke doch, ich konnte sie überreden, die Sache vernünftig anzugehen. Wir
machen Ihnen folgenden Vorschlag: Sie lassen uns eben kurz zu Ihnen rüberkommen
und das Kind sehen. Wenn Miss McCone den Eindruck gewinnt, daß es wohlauf und
zufrieden ist, wird sie nach Hause zurückkehren und ihrer Klientin erklären,
daß es für die Kleine das beste ist, bei ihrem Vater zu bleiben... Sehr gut,
Klaus, aber es muß binnen einer Stunde sein...
    Klaus, wenn meine bibelfeste Tochter
hier wäre, würde sie mit dem Ochsenziemer auf Sie losgehen, weil Sie ihren
hochheiligen Vater mit einem solchen Wort belegen... Ich weiß, daß die Kleine
schläft; wecken Sie sie auf. Kinder sind überaus flexibel — eine Eigenschaft,
die Ihnen völlig abgeht... Ja, ich versichere Ihnen, daß Miss McCone abreisen
wird, sobald sie sich davon überzeugt hat, daß alles in Ordnung ist... Nein,
per Hubschrauber von hier aus. Ein befreundeter Pilot holt sie ab... Sehr gut,
Klaus. Wir kommen sofort.«
    Mr. Altagracia legte den Hörer auf und
lächelte mich heiter an. »Dieser Mensch«, sagte er, »ist selbst schuld, wenn er
dem alten Schweinehund alles glaubt.«
    Der Regen hatte wieder aufgehört, als
wir in Zebediahs altem Jeep losfuhren, aber noch immer illuminierte
Wetterleuchten dicke Wolken am Horizont. Auf der Hälfte der mit Pfützen übersäten
Zufahrt trat der alte Mann so hart in die Bremse, daß es mich nach vorn riß.
    »Sehen Sie die Kanone dort drüben?«
fragte er.
    Ich folgte seinem Zeigefinger. Durch
ein verwildertes Gestrüpp aus Bäumen und Büschen erspähte ich sie: angestrahlt
und im Fünfundvierzig-Grad-Winkel aufs Meer gerichtet.
    »Diese Kanone«, sagte er, »haben Ihre
Landsleute in ihrem glorreichen Revolutionskrieg gegen die Briten benutzt. Ich
habe sie gekauft und für teures Geld hierher verschiffen lassen, ehe ich meine
eigene Revolte gegen die Briten begann. Unglücklicherweise kam ich nicht dazu,
auch nur einen einzigen Schuß abzufeuern. Ich halte sie aber trotzdem immer
einsatzbereit und schieße jedes Jahr am siebzehnten November einen Salut zur
Feier der Unabhängigkeit von Jumbie Cay.« Wieder grinste er verschmitzt, und
seine Zähne blitzten im Kontrast zu seiner dunklen Haut. »Es wird mir eine
große Genugtuung sein, sie abzufeuern, um Jumbie Cay von seinen jetzigen
Unterdrückern zu befreien. Ich muß sagen, ich freue mich darauf.«
    »Das kann ich verstehen.« Regina lag
mit ihrer Einschätzung ziemlich schief; ihr Vater war ganz und gar kein alter
Narr. Ein bißchen verrückt vielleicht, aber zum Narren halten ließ er sich von
niemandem.
     
    Die Straße, auf der wir fuhren, führte
an einem Salzteich vorbei, der im Wetterleuchten silbern glänzte. Der Wind
blies Schaumfetzen von der Oberfläche und trieb sie über die Straße. Ich hielt
mich am Armaturenbrett fest, während wir durch die Schlaglöcher rumpelten, und
versuchte, irgend etwas von der Gegend zu erkennen.
    Im Inneren schien die Insel hügelig und
öde, mit einer spärlichen Decke von magerem Pflanzenwuchs, aus dem überall
Felsen ragten. Gelegentlich

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