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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Sandalen, zog mich bis auf den Badeanzug aus und entfernte vorsichtig
das Klebepflaster, das den wasserdichten Beutel festhielt. Er war wesentlich
leichter als vorher, da ich die Pistole in dem Wasserflugzeug deponiert hatte,
damit die anguillanische Polizei sie fand. Jetzt verstaute ich das Päckchen in
einer Ablage neben dem Sitz. Auf Jumbie Cay konnte ich auf Geld, Papiere und
Kreditkarte verzichten — und wenn ich das Boot nicht wieder erreichte, würde
ich derlei Dinge sowieso nie mehr brauchen.
    Lloyd setzte hinzu: »Ich warte da, wo
Sie gesagt haben. Kann die Kleine schwimmen?«
    »Ich weiß nicht. Wenn nicht, kann ich
ihr helfen.« Ich zögerte, sah auf die unsteten Lichter am Ufer der Insel.
»Hören Sie«, sagte ich, »falls... irgendwas dazwischenkommt und wir bis
Tagesanbruch nicht wieder da sind — riskieren Sie nichts. Fahren Sie heim,
rufen Sie die Nummer in San Francisco an, die ich Ihnen gegeben habe, und
benutzen Sie den Notfallcode. Man wird Sie mit einem gewissen Gage Renshaw
verbinden. Erklären Sie ihm, was passiert ist. Er wird... etwas unternehmen und
dafür sorgen, daß Sie Ihr restliches Geld kriegen.«
    Lloyd nickte mit grimmiger Miene. Sein
Ohrring funkelte in dem schwachen Licht der Armaturen.
    Ich stand auf, setzte mich auf die
Bordkante und schwang die Beine hinüber.
    »Denken Sie an die Strömung«, sagte
Lloyd.
     
    Schwarzer, sternenübersäter Himmel,
noch schwärzeres Wasser. Orangefarbene Lichter in der Ferne. Ich bin ganz
allein. Sollte Angst haben, habe aber keine.
    Wellen sanft, Wasser warm. Weicher
Tropenwind in meinem Gesicht.
    Aber meine Glieder sind nicht bleiern.
Ich gehe nicht unter. Ich habe nicht den Wunsch, mich in diesem dunklen Wasser
zu verlieren. Nichts Fledermausförmiges, das auf dem Wasser treibt. Keine
ertrunkene Frau mit blicklosen Augen. Nur ich. Ich und mein fester Wille, zu
Habiba zu gelangen.
    Ich schwimme energisch und stetig
landwärts. Gewinne mühelos den Kampf mit der Strömung. Und bin noch nicht mal
ausgepumpt.
     
    Als der Kampf vorbei war, war ich
ausgepumpt. Ich zog mich auf den Pier und blieb keuchend und Seewasser spuckend
auf dem rauhen Beton liegen. Dann stach mich etwas in den Nacken, und an meinem
Ohr summte es. Ein zweiter Stich in meinen Unterarm, ich sprang auf und
klatschte hektisch um mich. Der Beton war uneben und bröselig; er schnitt mir
in die Fußsohlen, während ich darüberrannte. Das Brett über dem Loch polterte
und wackelte unter meinem Gewicht, ich kam ins Schwanken, wäre fast wieder ins
Wasser geplumpst, fing mich und rannte weiter, zu einem sandigen Pfad, der mit
Schneckenmuscheln eingefaßt war.
    Palmettos und Seetraube bildeten ein
Dickicht, und Mangrovenwurzeln krallten sich in den Boden. Trockene Palmwedel
raschelten über mir, und größere Bäume knarrten und ächzten. Ich tastete mich
durch das Dunkel, wobei ich abwechselnd Äste zur Seite drückte und nach
penetranten Insekten schlug. Der Pfad führte ein Stück geradeaus und schlug
dann einen Bogen zurück zum Meer. Ich fragte mich schon, ob ich einen falschen
Abzweig erwischt hatte, als ich aus einem dichten Palmettogebüsch auftauchte
und mich auf einer geplättelten Terrasse fand. Die Lichter, auf die ich
zugehalten hatte, waren elektrische Pseudo-Fackeln an einem niedrigen, zum
Wasser hin ausgebuchteten Mäuerchen.
    Auf der Terrasse befand sich lediglich
eine tote Kokospalme in einem Erdrund in der Mitte; die Steinplatten hatten
tiefe Sprünge. Risse durchzogen den rosa Verputz des einstöckigen Hauses am
anderen Ende. Die Veranda des Hauses lag zu dieser Seite hin; drei breite
Treppenstufen führten hinauf. Das durchhängende Dach ruhte auf Säulen, an denen
kräftige Ranken emporklommen. Lila- und pfirsichfarbene Blüten ergossen sich
auf die Brüstung herab und verströmten einen übelkeiterregend süßen Geruch.
    Ich blieb stehen; stumpfbraune Blätter
wehten um meine Füße. Ich sah kein Licht im Haus, hörte nichts als das Rauschen
der Brandung hinter dem Terrassenmäuerchen. Dann entdeckte ich ein rotes
Glutpünktchen auf der Veranda; es bewegte sich, wurde heller, beschrieb einen
Bogen und erlosch. Gleich darauf zündete sich die unsichtbare Person auf der
Veranda eine neue Zigarette an.
    »Sie sind überaus pünktlich, Miss
McCone.« Eine Männerstimme mit britischem Akzent, altersrauh.
    Ich ging auf die Veranda zu und stieg
die Stufen hinauf. »Mr. Altagracia?«
    »Wer denn sonst? Stellen Sie keine
überflüssigen Fragen.«
    Ich ortete ihn gut

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