Ein wilder und einsamer Ort
Vertäuungsleinen am Liegeplatz der Freia .«
»Wie auch immer. Ich sagte ja schon, es
war ein Unfall.«
»Hat Habiba diesen Unfall mit
angesehen?«
Keine Antwort.
Ich sah zu Hamid hinüber. Er hatte
seine Pose ein wenig verändert und beobachtete jetzt seinen Geschäftspartner.
Ich fragte Schechtmann: »Haben Sie denn
überhaupt nicht befürchtet, daß man Sie mit Mavis’ Tod in Verbindung bringen
könnte? Daß die Crew der Freia reden könnte?«
»Die Crew wird gut bezahlt.«
»Aber es wissen doch noch andere Leute,
daß Sie Mavis und Habiba mitgenommen haben: Malika Hamid, das Konsulatspersonal,
Leila, Eric Sparling, Fig Newton...«
Schechtmann stöhnte enerviert. Hamid
hörte jetzt ganz genau zu.
»Vielleicht«, sagte ich, »wollten Siö
ja, daß Mavis’ Leiche genau dort gefunden würde. Bei einem unklaren Todesfall
denkt die Polizei immer zuerst an den Ehepartner, vor allem bei einer
zerrütteten Ehe.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Miss
McCone?«
»Nun ja, falls Mavis ermordet wurde —
und diese Möglichkeit ist bis jetzt nicht ausgeschlossen —, wäre Mr. Hamid der
Hauptverdächtige; wenn seine diplomatische Immunität nicht gewesen wäre, wäre
er in Kalifornien schon einmal wegen Mordes verhaftet worden.«
Hamids Atem entwich mit einem Zischen.
Ich fuhr fort: »In diesem Fall würde er
ganz sicher nicht in die Staaten zurückkehren wollen, sich vielleicht sogar
scheuen, auch nur diese Insel zu verlassen. Dann hätten Sie ihn in der Hand,
zumal sich ja jetzt auch seine Tochter hier auf Ihrem Terrain befindet.«
»Das sind doch reine Hirngespinste«,
sagte Schechtmann. »Wieso sollte ich meinen eigenen Geschäftspartner in der
Hand haben wollen?«
Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht
weiß er ja zuviel über Ihre Geschäfte oder über Ihre Vergangenheit. Vielleicht
befürchten Sie, daß Sie ihm zu sehr vertraut haben, und Sie brauchen eine
Sicherheit.« Schechtmann versuchte, eine amüsierte Miene aufzusetzen, aber
seine Augen waren kalt und wachsam. Ich hatte einen Nerv getroffen.
Mr. Altagracias Finger schlossen sich
fester um meinen Ellbogen. »Bitte entschuldigen Sie meine junge Freundin«,
sagte er. »Sie hat eine blühende Phantasie, und ihr Urteilsvermögen ist, nun
ja, zumindest getrübt. Vielleicht wird es sich ein wenig klären, wenn Sie ihr
gestatten, die Kleine zu sehen.«
Schechtmann lächelte spöttisch, nickte,
knallte die Hacken zusammen und drehte sich um. Ich erwartete schon fast, daß
er im Stechschritt aus dem Zimmer marschierte.
»Ein echter Preuße, was?« sagte Mr.
Altagracia.
Hamid hatte seinen Schock ob meiner
Worte von eben überwunden und sah jetzt nachdenklich drein. Er stand auf, ging
mit seinem Cognacschwenker an die Bar und goß sich ein paar Fingerbreit Remy
Martin ein. Als er ihn schwenkte und kostete, waren seine Bewegungen
abgezirkelt und leise theatralisch. In seinem eleganten Morgenrock hätte er ein
Darsteller in einem Stück von Noel Coward sein können.
Ich fragte mich, welche der vielen
Rollen, die er in seinem Leben gespielt hatte, der wahre David Hamid war: der
verwöhnte, aber an der kurzen Leine gehaltene Sohn; der liebende, aber
abwesende Vater; der weitläufige Diplomat. Und dann war da noch der besessene Verehrer.
Und der Mörder.
Hamid schien zu ahnen, was ich dachte.
Er sah mich mit verhangenen Augen an und starrte dann auf die Fensterfront. Das
Wetterleuchten überm Meer hatte aufgehört, und die Fensterwand war ein
schwarzer Spiegel. Ich beobachtete sein Spiegelbild. Sein Blick begegnete
meinem in der Scheibe und huschte weg.
Geräusche jetzt draußen in der Diele:
energische Erwachsenenschritte und das Patschen bloßer Kinderfüße. Ich wandte
mich erwartungsvoll um.
Habiba trat ein, Schechtmanns Hand fest
auf ihrer Schulter. Sie trug ein gelbgeblümtes Nachthemd, ihre Haare waren
zerzaust, ihre Augen plinkerten verschlafen. Um das linke Handgelenk hatte sie
eine Garfield-Uhr, und auf ihrem dünnen Unterarm waren blaue Flecken, die wie
Druckstellen von Fingern aussahen. Als sie mich sah, blieb sie stehen, und ihre
Lippen formten ein überraschtes O. Schechtmann schob sie vorwärts. »Sag Miss
McCone guten Tag, Habiba.«
Ihr Mund formte meinen Vornamen,
langsam und konzentriert wie an jenem gar nicht weit zurückliegenden Abend in
meinem MG, aber es kam kein Laut heraus. Ich ging zu ihr, hockte mich hin und
nahm ihre Hände. »Wie geht es dir, Habiba?«
Ihre Augen zuckten zu Schechtmann
hinüber. »Gut.«
»Bist du gern
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