Ein wilder und einsamer Ort
zwei Meter weiter im
Dunkeln, auf einem uralten Aluminiumdeckstuhl, unter einem Fenster in der
Hauswand, das von einer Jalousie bedeckt war. Er war langgliedrig und hager und
trug lediglich ein Paar Madrasshorts. Sein Kopf war völlig kahl, aber ein
dichter weißer Bart hing ihm halb über die Brust, leuchtend vor der dunklen
Haut. Er musterte mich unwirsch durch eine Goldrandbrille.
»Stehen Sie nicht so rum.«
Ich trat näher, war mir plötzlich der
Knappheit meiner Bekleidung nur allzu bewußt. Ein Mosquito rammte seinen
Stachel in meinen Oberschenkel. Ich klatschte, verfehlte ihn. Ein zweiter
erwischte meine bloße Körpermitte. Ich klatschte wieder zu.
»Heiliger Strohsack!« Mr. Altagracia
griff nach einem Anti-Insekten-Spray, das inmitten eines Sammelsuriums von
Gegenständen auf einer rostigen fahrbaren Fernsehkonsole stand, und streckte es
mir hin. »Nehmen Sie das. Und dann ziehen Sie das Hemd an, das da drüben über
dem Stuhl hängt. Ich bin nicht so alt, daß mich der Anblick von so viel
weiblichem Fleisch nicht ablenken könnte.«
Ich sprühte mich ein und zog dann das
Hemd über. Es reichte mir halb über die Oberschenkel, und ich mußte die Ärmel
viermal umschlagen.
»Die Schuhe unter dem Stuhl sind auch
für Sie. Hat meine Tochter dagelassen, als sie aus dieser Lasterhöhle
geflüchtet ist.«
Es waren Badesandalen, annähernd meine
Größe. Ich schlüpfte hinein und drehte mich um.
Mr. Altagracia musterte mich und
nickte. »Ist nicht gerade Pariser Chic, wird’s aber tun. Holen Sie den Stuhl da
ran und setzen Sie sich.«
Regina hatte mich gewarnt, ihr Vater
sei ein brummiger Zeitgenosse, aber sie hatte vergessen zu erwähnen, wie gern
er kommandierte. Nun gut, aus langjähriger Erfahrung mit meinem Offiziersvater
wußte ich, wie ich mit solchen Leuten umzugehen hatte. Ich nahm den leichten
Alustuhl und stellte ihn auf die andere Seite der Fernsehkonsole. Setzte mich
und sah den alten Mann aufmerksam an.
»Ich weiß, daß Sie nicht taub sind,
aber sind Sie vielleicht stumm?«
»Nein, Sir, ich bin nur sparsam mit
Worten — auch wenn ich manchmal überflüssige Fragen stelle.«
Er zog die Brauen zusammen und schob
kriegerisch die Lippen vor. »Sie halten mich wohl für einen streitsüchtigen
Alten?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Nicht die geringste.«
»Gut. Lassen Sie uns zur Sache kommen.«
Er zögerte, beäugte mich nachdenklich.
»Ich mag temperamentvolle junge Frauen.«
»Und ich mag streitsüchtige alte Männer,
die mir helfen, ungesehen an Land zu kommen.«
»Dann steht unserer Zusammenarbeit ja
nichts im Wege. Ich nehme an, bis jetzt ist alles nach Plan gelaufen?«
»Ja. Der Pilot ist auf Anguilla in
polizeilichem Gewahrsam, und Lloyd Fisher geht vor Goat Point in Position. Sie
haben Ihrer Tochter erzählt, die Kleine sei angekommen. Konnten Sie in
Erfahrung bringen, wie es ihr geht?«
»Lucinda Mumms, die ein Stück weiter
wohnt, macht auf dem Anwesen sauber. Ich bezahle sie dafür, daß sie mich über
den Laden auf dem laufenden hält. Sie sagt, das Kind ist sehr unglücklich; es
weint nicht, aber Lucinda sagt, man merkt, daß es verstört ist.« Habiba würde
nicht weinen — ebensowenig wie ich in ihrem Alter.
»Hat Lucinda herausgefunden, ob sie
wissen, daß ich komme?«
»Sie wissen es, aber es beunruhigt sie
nicht weiter, weil sie glauben, daß Nel Simpson Sie ihnen frei Haus liefern
wird. Der Vater des Kindes glaubt, daß seine Mutter Sie geschickt hat. Er ist
äußerst verärgert und fest entschlossen, die Kleine bei sich zu behalten.«
»Also wird die Strategie, die Sie
Regina am Telefon vorgeschlagen haben, aller Wahrscheinlichkeit nach klappen.«
»Sie wird klappen.«
»Wenn wir in das Anwesen hineinkommen
und Habiba finden.« Zebediah Altagracia sah hochmütig über seine Nase auf mich
herab. »Sie werden uns mit offenen Armen empfangen.«
»Sind Sie da sicher?«
»Zweifeln Sie nicht an meinen Worten,
junge Dame! Natürlich bin ich sicher. In vielem ist das hier immer noch meine
Insel; die Leute, die hier ihr Leben lang gewohnt und gearbeitet haben,
übertragen ihre Loyalität nicht so einfach auf jemand anderen, und Klaus
Schechtmann weiß das. Was glauben Sie, warum er mir zugeredet hat, nach dem
Verkauf hierzubleiben? Mr. Schechtmann hatte Angst, der Masse derer
ausgeliefert zu sein, die er für Untermenschen hält und noch dazu für Wilde.
Ich bin hier, um den Frieden aufrechtzuerhalten. Dafür gesteht mir Mr.
Schechtmann gewisse Privilegien
Weitere Kostenlose Bücher