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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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der kleinen Tür
hinübergingen, fühlte ich mich diffus bedroht, als sei ich im Begriff, eine
kalte Gruft zu betreten, aus der es keinen Ausgang gab.
    Mr. Altagracia ignorierte die Klingel
und patschte ungeduldig mit der flachen Hand gegen die Tür. Als sie nicht
sofort aufging, bummerte er weiter. Schritte näherten sich, und eine Männerstimme
sagte etwas in ärgerlichem Deutsch.
    Der alte Mann nickte mir zu und sagte
laut: »Ja, für solche Ausdrücke würde meine bibelfeste Tochter ganz gewiß mit
dem Ochsenziemer auf ihn losgehen.«
    Ich erkannte den kleinen, kompakten
Mann, der wütend herausguckte, sofort als Klaus Schechtmann. Weniger an seinem
Äußeren — die Beschreibung, die ich erhalten hatte, war nur sehr grob gewesen.
Aber da war dieser knickrige und blasierte Zug um seinen Mund, der zu dem
paßte, was ich über ihn wußte, und zugleich lag etwas Lauerndes und Gieriges in
seinen blaßblauen Augen. Er trug einen schwarzen Seidenmorgenrock, der wohl
signalisieren sollte, daß er unseren Besuch für zu unbedeutend erachtete, um
sich eigens dafür anzukleiden. Aber sein graublondes Haar war frisiert, sein
Bart perfekt gepflegt.
    Schechtmann funkelte Mr. Altagracia
noch einen Moment wütend an; dann schwenkten seine Augen auf mich. Ihr Ausdruck
veränderte sich um ein paar Nuancen. Automatische Reaktion auf alles Weibliche,
dachte ich, weil sein Blick jetzt sexuell taxierend war; vermutlich merkte er
es selbst nicht. Ich guckte kalt zurück. Sein kleiner Mund wurde hart, und er
wandte sich Mr. Altagracia zu. »Ist das diese McCone?«
    »Miss McCone für Sie, Klaus. Vergessen
Sie nicht Ihre Manieren.« Der alte Mann packte mich am Ellbogen und bugsierte
mich an Schechtmann vorbei in eine Eingangsdiele, deren hartweiße Wände nach
oben so schräg auseinanderliefen, daß ich das Gefühl hatte, mich in einem
Trichter zu befinden. »Wo ist das Kind?« fragte er. »Alles zu seiner Zeit,
Zeb.« Schechtmann schloß die Tür und winkte uns, ihm zu folgen. »Zuerst wünscht
ihr Vater Miss McCone zu sehen.«
    Er führte uns einen kleinen Flur
entlang und durch einen Türbogen in einen großen Raum mit einer Fensterwand,
durch die man das Wetterleuchten draußen über dem Meer sah. Die Möbel waren
bizarr geformt und bestanden aus schwarzgrünem Marmor mit Messingzierat und
schwarzen Lederkissen. Sie mußten sehr teuer gewesen sein, sahen aber höllisch
unbequem aus. Ein Mann in einem burgunderroten Morgenrock, dem Zwillingsbruder
von Schechtmanns schwarzem, saß in einem der Sessel, den dunkelhaarigen Kopf
über einem Cognacglas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit, das er versunken
schwenkte.
    Er mußte uns gehört haben, verharrte
aber noch einen Moment in dieser Pose, ehe er aufsah. Dawud Hamid hatte sich
nicht sehr verändert, seit die Fotos in Habibas Fenstersitztruhe gemacht worden
waren; sein Gesicht hatte ein paar Falten mehr, sein Haar graue Strähnen, aber
sein Mund war immer noch sinnlich, sein Blick immer noch grüblerisch-intensiv.
Und er war immer noch eitel und selbstzentriert; das sagte mir die Art, wie er
den Kopf hielt, und die ruckende Bewegung aus dem Handgelenk, mit der er seinen
Drink kippte.
    Er stellte den Cognacschwenker auf ein
Tischchen neben sich. Lehnte sich in seinem Sessel zurück, schlug die Beine
übereinander, sah mich hochmütig an und sagte: »Meine Mutter hat Sie
geschickt?«
    »Ich arbeite mit der Sicherheitsfirma
des Konsulats zusammen. Ihre Mutter macht sich natürlich Sorgen um Habiba.«
    »Wie rührend.«
    Sein Ton löste in mir den Impuls aus,
ihn zu schütteln, aber ich sagte nur milde: »Es ist wahr.«
    »Warum? Sie wollte doch selbst, daß
Speed Habiba hierher bringt.«
    »Habiba und Mavis. Sie wollte nicht,
daß Ihre Frau tot in der Bay von San Francisco gefunden würde.«
    Etwas flackerte in seinen Augen auf.
Nicht Trauer oder Bedauern oder sonst irgendeine der Emotionen, die man selbst
in einer zerrütteten Ehe vom hinterbliebenen Partner hätte erwarten können,
sondern die Angst eines in die Enge getriebenen Tiers. Aber er löschte sie
sofort mit einem Blinzeln aus. »Mavis Tod war ein Unfall — und sie war selbst
schuld.«
    »Ach?«
    Schechtmann sagte: »Mrs. Hamid war
betrunken. Sie ist gestolpert und hat sich den Kopf angeschlagen, als sie über
Bord fiel.«
    »Und Sie haben nichts getan, um sie zu
retten.«
    Er zuckte gleichgültig die Acheln. »Wir
waren schon ziemlich weit draußen.«
    »Stimmt nicht. Sie waren noch im
Bootshafen. Mavis Fuß hing in einer der

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