Ein wildes Herz
Leinen und Seide und Baumwolle, und die drapierten sie rund um den Grabhügel, unter dem Charlie Beale lag.
Sie standen da, und wo sie standen, war ein Berg aus Blumen. Wunderschönen Blumen. Der Berg reichte mir bis über den Kopf, sogar über Claudies Kopf, es mussten alle Blumen sein, die in Lexington und Staunton erhältlich gewesen
waren, weiße Ranken und rote Rosen, und Lilien, alle Blumen aus allen Kühlräumen, die es dort gab. Hie und da waren auch Gestecke zu sehen, wie man sie für Begräbnisse herrichtet, Trauersträuße und Kränze mit Satinbändern, auf denen stand: Unserem lieben Freund, der schmerzlich vermisst wird, oder: Unsere Gebete sind bei dir, oder: Lebwohl, und die Leute dieser Stadt waren einfach losgefahren, jeder für sich, insgeheim waren sie in die Blumengeschäfte gefahren, hatten Blumen gekauft und sie auf das Grab gelegt. Und all das war nun umkränzt und umwoben von den Stoffen der Kleider, die Claudie nie für Sylvan machen würde.
Claudie kam zu mir herüber, und sie nahm mich an der Hand, und dann standen wir da, bis die Sonne aufging und wir den Frost auf den Blumen sehen konnten, und es gab nichts zu sagen, wir wussten es, wir wussten alles, und so bestand gar keine Notwendigkeit zu sprechen. Wir waren froh, dass die Leute der Stadt in dieser Nacht ihre Häuser mit den verrammelten Fenstern verlassen hatten und dass sie ihn nicht einfach dort liegen ließen, ungeliebt, unbetrauert.
Wir standen da, die schwarze Frau und ich und die fremde junge Frau, bis es ganz hell geworden war und der Frost sich so vollständig aufgelöst hatte, dass kein Glitzern mehr zu sehen war. Charlie Beale hatte seine Reise ins Dunkel nicht unbemerkt angetreten.
Frau, Mädchen und Junge. Schwarz und weiß. Die Sonne, die über einem Ereignis aufging, das gestern gewesen war, dem Tag vor gestern, der Vergangenheit. Doch es war keine Vergangenheit, und es war nicht vorüber, und wir beide wussten es, obwohl wir nie ein Wort darüber verloren haben, weder damals noch später. Es war genug, es zu wissen, die Geschichte zu kennen, ein Teil von ihr gewesen und von
diesen Menschen berührt worden zu sein, von ihnen Zeugnis ablegen zu können, von ihrer Wahrheit, die zur Legende werden würde. Und deshalb sind Sie hier.«
»Und der Umschlag?«
»… natürlich enthielt er die Besitzurkunden für jedes einzelne Grundstück, Dutzende, steinige Grundstücke und fruchtbare Äcker und Wasserfälle und sumpfiges Flussland, und all das war für Boaty Grund zu so großer Sorge und Beunruhigung, dass er sogar einen Prozess anstrengte, doch dieses Mal war das Gesetz nicht auf Boatys Seite, und so wurde ich im zarten Alter von sechs zum reichsten Landbesitzer in ganz Rockbridge County.«
»Wirklich«, sagte der Mann.
»Ja, wirklich. Und Sie wollen ein Stück Land davon kaufen, richtig? Pickfair, das alte Haus. Und ich werde es Ihnen verkaufen, denn es ist Zeit. Ich bin nicht mehr jung, habe keine Frau oder Kinder, hatte sie nie, was vielleicht, wie so mancher Seelendoktor sagen würde, seinen Grund in all dem hat, diesem Leben, das ich geführt habe, abgesondert von Anfang an, allein von Natur aus und aus Gewohnheit, ein Leben, das ich nicht besonders mag, an das ich mich jedoch gewöhnt habe. In diesem Haus hier habe ich gelebt, in Charlie Beales Haus. Nicht in dem Haus meiner Eltern, sondern in diesem hier, wo er gelebt hat, wo der Bruder sich in der Kälte draußen auf der Veranda zu Tode trank, mit Essen und Schnaps versorgt von seinen fürsorglichen Nachbarn.
Es ist eine brutale Geschichte. Und es ist, so lieblich sie auch aus der Luft aussieht, keine einfache Gegend. Aber man kann nicht auf dem Land leben, ohne es zu kennen, man kann nicht darauf gehen, ohne zu wissen, dass man nicht der Erste ist, der es betritt.
Claudie Wiley und ich standen an jenem Morgen da, und
wir wussten, dass wir die Geschichte bewahren mussten, für uns und für andere. Den Toten gebührte Respekt, doch es dauerte nicht lange, bis der erste Barbier oder Metzger seinen Sohn sah, wie er in die Luft sprang, einen Ball fing und seine Hüften schwang, um ihn zur ersten Base zu werfen, sich in Ehrfurcht erstarrt ob der Anmut und Geschmeidigkeit dieser Bewegung an seinen Nachbarn wandte und sagte: ›Das ist mein Junge. Ein richtiger Beebo.‹ Und wann immer seit jenem Tag ein Junge gut im Baseball oder Football oder Lacrosse ist, nennen sie ihn einen Beebo, und dieser Junge trägt den Namen mit Stolz, ohne die Geschichte zu kennen,
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