Ein wildes Herz
waren lauter kleine, rote Sterne, sieben Stichwunden, und da war Blut überall, es sickerte und quoll heraus, ein sprudelnder roter Fluss auf den bunten Blumen des biederen Hauskleides, und dann fiel sie tot zu Boden, und ihr letzter Schrei endete in einem hohlen, klagenden Seufzen, das erst am Schluss kam, als sie aufs Gesicht fiel, quer über die Treppe, auf der sie ein
paar Stufen hinabglitt, bis sie schließlich liegen blieb, halb auf der Treppe, das Gesicht zum Garten, und das Blut floss nach unten und tropfte von der letzten Stufe, sammelte sich in einer Pfütze um ihr Gesicht. Charlie kam hinter ihr, das blutige Messer in einer Hand, in der anderen Hand einen großen braunen Umschlag, auch der voller scharlachroter Flecken, und alles war rot und glitschig vor Blut.
Charlie stieg über Sylvans Körper hinweg, schaute hinab, sah, was er getan hatte, und einen Moment lang fürchtete Sam, er würde sich über sie beugen und sie zerlegen wie ein Stück Vieh. Doch dann richtete er sich auf und gab ein letztes Heulen von sich, ein Heulen tiefsten Kummers darüber, dass nun alles zu Ende war, alles, alles, und dann schaute er nur und kam zu Sam herüber, der zu weinen begonnen hatte. »Beebo, Beebo«, sagte der Junge, fast flüsternd, ein Flehen, dass das alles endlich vorüber wäre, dass es gar nicht erst geschehen wäre, denn er begriff, was geschehen war. Dazu musste er nicht mit dem scharfen, stählernen Geruch des Sterbens aufgewachsen sein.
Charlie stand über dem Jungen, dem Jungen, den er von den Toten zurückgeholt hatte, ließ den Umschlag zu Boden fallen, streckte die Hand aus und legte sie dem Jungen auf den Kopf.
Seine Hand ist mit Blut bedeckt, und jetzt ist auch Blut am Kopf des Jungen, und auf Charlies Gesicht sind Kratzer, und Angst steht in seinen Augen, die Angst des Tieres in der Sekunde, bevor der Jäger den Abzug drückt, bevor es in den Knien einknickt und zusammenbricht, und das Fleisch seines wunderschönen Körpers vor Angst verdirbt, doch in Charlies Augen ist sie nicht nur einen Moment lang, sie steht dort für eine Ewigkeit, leuchtend hell, seine Augen überziehen sich mit einem Film aus Tränen und Blut, während er in diese See aus
Blut und Bedauern schaut, in die er sich hineinkatapultiert hat, und der Umschlag liegt auf dem Boden, und das Messer in Charlies Hand ist glitschig vor Blut, ein scharlachroter Schimmer auf dem Stahl. Charlie berührt den Jungen im Gesicht, am Haar, und spricht mit einer Stimme, die er nur ein einziges Mal bisher benutzt hat, nämlich als er im Gerichtssaal die Frau, die ihn verraten hat, um Gnade anflehte, und er erhebt diese Stimme und sagt: »Denk daran, Sam. Denk daran. Nimm diesen Umschlag und verlier ihn nicht, niemals. Er gehört dir. Es ist das, was ich dir zum Geburtstag schenken werde, Jahr für Jahr. Versuch ein guter Junge zu sein. Und bitte vergiss mich nicht«, als könnte Sam das jemals tun. Und dann hebt Charlie den Kopf, schaut zum spätnachmittäglichen Himmel empor, und es ist Zeit geworden für den Gottesdienst zu Ehren der Toten in der Stadt, und die Glocken beginnen zu läuten, jeweils eine Glocke für eine verlorene Seele, und Charlie hebt seine Hand unter sein eigenes Kinn, legt den Kopf weit in den Nacken, und dann schneidet er sich selbst die Kehle durch, ein sauberer, schneller, tiefer Schnitt von Ohr zu Ohr, und die Glocken läuten, und das Radio im Pick-up spielt immer noch: »Go down go down you Knoxville girl with the dark and roving eye«, und die Glocken läuten, und vor acht Jahren sind die Bomben gefallen, wie Regen, auf all die unschuldigen jungen Männer, und seine Mutter und sein Vater knien jetzt auf der Kirchenbank, nicht weit entfernt, und sind nicht hier, um ihm zu sagen, was er tun soll, sind weit weg, im Gebet versunken und doch, hätte er das nur gewusst, in Gedanken bei ihm, ihrem Kind, in die Flammen der Japaner gehüllt, und fast im selben Moment geht Charlie zu Boden, sein Kopf ist kaum mehr mit dem Hals verbunden, und er fällt auf den Jungen, mit seinem ganzen Gewicht, und da ist sein Geruch, das Blut, der Seifenduft seines Hemdes, das jetzt mit
Blut aus seinem Hals vollgespritzt ist, und auch der Junge ist vollgespritzt und eingeklemmt unter dem Gewicht von Charlies Körper, und dem Schwall Blut, das aus ihm herauskommt, bis er sich unter Charlie herauswinden kann, bis er wieder steht, und Jackie schnüffelt bereits an dem Blut des Mannes, der ihn all die Zeit jeden Morgen und jeden Abend gefüttert hat,
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