Ein Winter mit Baudelaire
Philippe in den Hotels der Umgebung nach einer Unterkunft. Auch hier hat sein Müllbeutel nicht die beste Wirkung: kein Zimmer frei. In einer kleinen Seitenstraße findet er schließlich auf gut Glück doch noch ein Hotel, das nicht voll belegt ist. Um die skeptischenFalten zu glätten, die Philippes Auftritt dem Inhaber, einem hageren Mann um die fünfzig, auf die Stirn treibt, schlägt er vor, für mehrere Nächte im Voraus zu zahlen.
»Hier«, sagt der Mann, »die 69 … Hübsche Zahl, oder?« Er lacht.
»Danke.«
Philippe will den Schlüssel nehmen, aber der Besitzer zögert.
»Hatten Sie nicht davon gesprochen, im Voraus zu zahlen?«
»Wie viel?«
»Sechzig Euro.«
Philippe zieht sein Portemonnaie aus der Tasche.
»Für eine Nacht«, fügt der Mann hinzu.
»Das ist mir klar. Kann ich mit Karte bezahlen?«
»Hätten Sie es nicht eher in bar? Na ja, Sie wissen schon …«
»Nicht für drei Nächte im Voraus, tut mir leid.«
»Wie viel haben Sie denn?«
»Ich habe … vierzig Euro.«
»Ah … nicht mal für eine Nacht …«
»…«
»…«
»Am Ende der Straße ist ein Geldautomat, auf der rechten Seite. Sie können ja schnell hin, ich passe auf Ihre Sachen auf.«
Philippe zögert. Die kleinen, tiefliegenden Augen des Besitzers haben sich forschend auf ihn gerichtet. Philippe gibt ihm seine Sachen und geht zur Tür.
»Auf der rechten Seite«, wiederholt der Mann mit zufriedenem Grinsen.
Als Philippe zurückkommt, befindet sich der Hotelinhaberin einer lebhaften Diskussion mit einer stark geschminkten und umso leichter geschürzten Frau, die eine Dose Cherry Coke in der Hand hält.
»Ich warne dich, Tina, wenn ich noch einmal was von deinem Dreckskram finde …«
»Ist ja schon gut, Mann, und jetzt rück den Schlüssel raus!«
»He, was glaubt Pretty Woman eigentlich, mit wem sie redet! Ich bin der Einzige im ganzen Umkreis, der dich überhaupt noch nimmt, also schlag einen anderen Ton an, und zwar subito!«
»Komm schon, du kassierst doch schließlich ne ordentliche Provision …«
Hinter ihr wartet, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Mann um die vierzig. Sein Blick wandert zwischen den Wänden, der Decke und seinen Schuhen hin und her. Als der Hotelbesitzer Philippe sieht, beruhigt er sich.
»Also gut, dann los, für dieses Mal drücke ich ein Auge zu. Aber du hast kapiert, was ich dir gesagt habe?«
»Ja, ja, keine Sorge, ich hab dein Geschwafel gehört, ist schon gut …«
Sie nimmt den Schlüssel und verschwindet mit dem Mann, der auf sie gewartet hat. Philippe tritt an die Theke und gibt dem Besitzer das Geld.
»Also ehrlich, ist schon ein Jammer. Da tut man denen einen Gefallen, und sie hinterlassen einen Saustall. Hier, die 69 … Dritte Etage, ganz den Flur runter. Die Toiletten sind am anderen Ende.«
»Danke.«
Philippe nimmt den Schüssel und seine Sachen und steigt die enge Treppe hinauf.
Das Zimmer ist etwa zwölf Quadratmeter groß und hatnichteinmal die Qualität eines Formule 1 . Die Tapete, deren Farbe irgendwann einmal ein helles Lila mit marineblauen Blumenmotiven gewesen sein muss, zeigt nur noch ein verschossenes, schmieriges Gelbgrau, das mit unregelmäßigen, violetten Kreisen gesprenkelt ist. Auch die Farben der Tagesdecke und des Möbelstücks, das als Nachttisch dient, haben ihre Frische längst verloren. Ein kleiner Verschlag mit einem Waschbecken, über dem eine Neonleuchte hängt, ersetzt das Badezimmer. Auf dem Becken liegen ein Waschlappen, ein raues Handtuch und ein gebrauchtes Stück Seife. Die Wände und Fenster, dünn wie Zigarettenpapier, dämpfen die Geräusche von der Straße und aus den Nachbarzimmern kaum.
Philippe stellt seine Sachen ab, setzt sich auf den Bettrand und verharrt lange regungslos, mit leerem Blick. In der Zeit, als ihn seine Geschäftsreisen gemeinsam mit Jérôme häufig in die Provinz führten, ordnete er diese Art von Unterkünften der Kategorie »Drei-Haare-Hotels« zu; die Negativ-Sterne wurden nach der Zahl der Kopf- oder Körperhaare vergeben, die sie im Badezimmer oder auf der Bettwäsche vorfanden, obwohl das Zimmer gerade gemacht worden war.
Philippe blinzelt, nimmt sein Handy und wählt Jérômes Nummer.
»Hallo, Jérôme, ich bin’s, Philippe … Montagabend … Du hast dein Handy ausgeschaltet, recht hast du … Es ist ja schon spät, und der Kleine muss schlafen … Ähm … Tut mir leid, dass ich dich nicht zurückgerufen habe, aber ich hatte in letzter Zeit wirklich zu viel um die Ohren … Wenn du willst,
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