Ein Winter mit Baudelaire
Trédebeine«. Philippe setzt sich.
»Geht es um eine Anmeldung?«
»Ja.«
Der Berater streckt ihm die rechte Hand entgegen.
»Ihre Arbeitslosenversicherungsbescheinigung?«
»Meine was?«
»Ihre Arbeitslosenversicherungsbescheinigung, um Ihre Akte anzulegen …«
»Aber … ich habe keine!«
»Wie bitte?«
»Na ja …«
Die beiden Männer sehen sich an.
»Sie waren doch bei der Arbeitslosenversicherung, ehe Sie hergekommen sind, oder?«
»Nein …«
»Ah …«
»…«
»…«
»Ich …«
»Sie müssen als Erstes zu der für Sie zuständigen Stelle bei der Arbeitslosenversicherung gehen, damit dort Ihre rechtliche Situation geklärt wird. Dann erhalten Sie eine Arbeitslosenversicherungsbescheinigung, und mit diesem Papier kommen Sie wieder zu uns.«
Einen Moment lang ist Philippe wie vor den Kopf geschlagen.
»Das wusste ich nicht. Ich bin zum ersten Mal arbeitslos …«
Er lächelt mechanisch, dankt seinem Gegenüber und steht auf. Während er sich schon zum Gehen wendet, fragt er noch:»Könnten Sie mir sagen, wo ich da hin muss?«
»Das kommt drauf an: Wo wohnen Sie?«
Philippe gibt ihm die Adresse seines früheren Lebens und bekommt, was er braucht.
Drei Busse und vierzig Minuten später steht er vor dem Gebäude der Arbeitslosenversicherung, die für ihn zuständig ist.
13 Uhr 15, Mittagszeit. Szenerie und Handlungsablauf unterscheiden sich kaum von denen des Arbeitsamtes: eine Nummer ziehen, dann warten, bis sie auf einem Display oberhalb eines offenen Durchgangs erscheint, der zu einem Büro mit abgetrennten Glaskabinen führt. Um diese Uhrzeit ist es auf beiden Seiten des Durchgangs ziemlich leer. Insofern ist die Wartezeit auch nicht kürzer als zu den Stoßzeiten,wenn das komplette Personal einem nicht abreißenden Strom von Bürgern entgegentritt.
Eine Dreiviertelstunde später erscheint Philippes Nummer. Dieses Mal erwartet ihn eine junge Frau seines Alters. Sie sieht ausgemergelt aus, wie zerfressen von ihrer bürokratischen Ohnmacht. Nach dem üblichen »Guten Tag, nehmen Sie Platz« zückt Philippe seine letzten Gehaltsabrechnungen.
»Haben Sie den Kündigungsbrief?«
»Ich bin von mir aus gegangen.«
»Aus welchen Gründen?«
»Unvereinbarkeit der Charaktere werden die wohl sagen.«
»Ah … Das ist aber dumm …«
»Warum?«
»Weil es bedeutet, dass Sie keinerlei Ansprüche haben …«
»Wie, keinerlei Ansprüche?«
»Wenn man aus freien Stücken ein Arbeitsverhältnis aufgibt, hat man keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nur in manchen Fällen werden willentliche Kündigungen als legitim eingestuft. Zum Beispiel wenn die Kündigung aus anderen als wirtschaftlichen Gründen ausgehandelt wurde, oder wenn Ihr Partner wegen eines Jobwechsels umzieht.
Das ist aber nicht der Fall?«
»Nein.«
»Nun ja …«
»…«
»Das ist wirklich dumm. Ihr befristeter Vertrag wäre ja ausgelaufen. Sie hätten einfach nur warten müssen, dass er nicht verlängert wird und dann …«
»…«
»Tja …«
»Aber … ist denn da wirklich nichts zu machen?«
Die junge Frau hebt den Blick zur Decke und lässt ihn suchend über die viereckigen Verbindungslinien der Fliesen schweifen.
»Sie haben zwei Möglichkeiten«, fängt sie nach einem Moment des Nachdenkens an. »In vier Monaten kann Ihnen die Arbeitslosenversicherung auf Ihren Antrag hin Arbeitslosengeld zahlen, aber nur unter der Bedingung, dass Sie in diesem Zeitraum aktiv nach einer Stelle gesucht haben und das auch beweisen können. Ansonsten können Sie auch in drei Monaten bei Ihrem Sozialamt einen Antrag auf Sozialhilfe einreichen. Am besten schreibe ich Ihnen sofort Ihren Ablehnungsbescheid seitens der Arbeitslosenversicherung. Den brauchen Sie, um sich beim Arbeitsamt einzuschreiben, und auch für Ihren eventuellen Antrag auf Sozialhilfe.«
Gesagt, getan: Die junge Frau reicht ihm das Papier. Philippe nimmt es, steht auf und wendet sich zur Tür.
»Viel Glück …«
Er dreht sich um, lächelt mechanisch, geht. Im Wartezimmer erscheint eine neue Nummer auf der Digitalanzeige.
Störung unerwünscht, danke
Zum zweiten Mal an diesem Tag verlässt Philippe das für ihn zuständige Büro des Arbeitsamtes. Es ist kurz nach 17 Uhr. Fast zweieinhalb Stunden nutzloses Warten. Eigentlich hätte er vorher anrufen und mit einem Berater einen Termin vereinbaren müssen, der einige Tage, vielleicht auch erst eine Woche später stattgefunden hätte. Irgendwann zwischen 8 und 12 oder 14 und 17 Uhr außer mittwochs, da schließt
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