Metro, man kann sich nicht mal mehr hinlegen!«
Er schließt die Augen und schläft sofort ein. Philippe faltet rasch seine beiden letzten T-Shirts und geht.
Draußen ist es belebter, der Verkehr dichter. Auf den Bürgersteigen drängen sich die Passanten so wie auf den Straßen die Zweiräder, die sich zwischen kreischenden Hupen durch den Stau schlängeln.
Philippe bringt schnell seine Sachen aufs Zimmer und geht zur Post. Nach halbstündigem Schlangestehen, bei dem wieder Nummern gezogen und im Rhythmus der Kaffee- und Zigarettenpausen auf einem Bildschirm aufgerufen werden, nach anschließender Erläuterung und Prüfung seiner Situation erklärt man ihm, die einfachste und einzigeLösung bestehe darin, den kostenlosen Service zu nutzen, von dem zahlreiche Obdachlose profitieren. Dafür braucht er nur eine Poststelle seiner Wahl als Adresse anzugeben und sich seine Post dorthin schicken oder nachsenden zu lassen, wobei auf dem Umschlag sein Name und der Hinweis »postlagernd« stehen muss.
»Muss ich dafür etwas ausfüllen? Ein Formular oder so …?«
»Nein, nichts. Sie müssen Ihren Briefpartnern nur die Adresse der Poststelle sagen, die Sie ausgewählt haben. Alle an Sie gerichteten Briefe können dorthin geschickt werden, vorausgesetzt auf dem Umschlag stehen die genannten Angaben.«
»Und wenn ich in eine andere Stadt oder einen anderen Stadtteil ziehe?«
»Dann machen Sie genau das Gleiche: Sie geben die Adresse Ihrer neuen Poststelle weiter.«
»Gut … Also dann, vielen Dank.«
Philippe geht. Eine neue Nummer wird aufgerufen.
Draußen, hoch oben am Himmel, schwindet schon der Vormittag dahin.
Kaffee und ein Glas Wasser
Am Nachmittag sitzt Philippe im hinteren Teil eines Cafés, das über WLAN verfügt. Auf seinem Laptop surft er durch verschiedene Internetseiten mit Stellenangeboten. Während er sich online – mit Lebenslauf im Anhang – bewirbt, blinkt das Icon auf, das ihm eine neue E-Mail anzeigt. Er öffnet die Mailbox und findet Sandrines Antwort.
Vor ein paar Stunden hat er ihr geschrieben:
Von: Philippe Lafosse
Gesendet: 27. 05. 2008 13: 17: 23
An: Sandrine Moncin
Betreff: Neue Adresse
Hier meine Postadresse:
Philippe Lafosse
Postlagernd
Poststelle Paris Saint-Lazare
15, rue d’Amsterdam
75009 Paris
Ich hoffe, es ist alles in Ordnung.
Gib meiner Prinzessin ein Küsschen von mir.
Danke.
Ph
Jetzt antwortet ihm Sandrine:
Von: Sandrine Moncin
Gesendet: 27. 05. 2008 15: 31: 42
An:
Betreff: Re: Neue Adresse
Zur Erinnerung: Unterhaltsgeld wird ab dem
5. des nächsten Monats von deinem Konto abgebucht.
Philippe liest Sandrines Antwort mehrmals durch, fährt sich mit der Hand nervös durch die Haare und das Gesicht.
»Wollen Sie noch was?«
Philippe zuckt zusammen und sieht zum Kellner hoch.
»Äh … Nein, danke.«
»Langsam sollten Sie schon noch was bestellen, oder Sie machen Platz für Gäste, die’s tun. Ich vermiete hier nicht tageweise Stühle.«
»Ja, dann … noch mal das Gleiche?«
Der Kellner schnaubt, räumt entnervt die verklebte Tasse und das leere Glas ab und steuert den nächsten Tisch an.
Philippe vertieft sich wieder in Sandrines Nachricht. Er klickt auf das Fenster seines Internet-Browsers und geht auf die Seite seiner Bank, um sein Konto einzusehen. Lange starrt er auf den Bildschirm, bis er den Blick abwendet und durch den Raum schweifen lässt. Dann wendet er sich wieder dem Computer zu, und sein Gesicht drückt in rascher Folge Zustimmung, Zweifel, Missbilligung und Verzweiflung aus, so als führe er ein stummes Zwiegespräch mit sich selbst.
»Und noch ein Kaffee plus Wasser, bitte schön!«
Mit brutaler Nachlässigkeit stellt der Kellner die Tasse ab. Ein Teil des Kaffees schwappt über und bildet eine Pfützeauf der Untertasse. Ohne Philippe anzusehen, knallt er die Rechnung auf den Tisch und stellt das Glas darauf.
»Wenn Sie die Güte hätten, gleich zu bezahlen, in fünf Minuten werde ich abgelöst.«
Er geht zurück Richtung Bar.
Philippe blickt abwechselnd auf den halb verschütteten Kaffee und den feuchten Kreis, den das Wasserglas auf dem Kassenbon hinterlässt. Er stößt einen verärgerten Seufzer aus, klappt den Laptop zu, sammelt seine Sachen ein, steht auf und verlässt das Lokal, ohne seinen zweiten Kaffee zu bezahlen, geschweige denn zu trinken.
Hinter seinem Rücken hört er den Kellner