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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harold Cobert
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Automaten halt, um für den Kinobesuch am Nachmittag etwas Geld abzuheben. Das Wetter ist schön, es verspricht ein sonniger Tag zu werden, ideal, um nach einem guten Film auf einer Terrasse etwas zu trinken. Er schiebt seine Karte ein, tippt den Code, verlangt vierzig Euro und einen Beleg. »Bitte warten Sie, wir befragen Ihre Bank«, erscheint auf dem Bildschirm. Philippe streicht sich mit der Hand durchs Haar und sieht sich um. In einiger Entfernung spielen zwei Kinder Fußball. Es ist nicht so voll auf den Straßen wie an einem normalen Vormittag in der Woche. Etwas Träges liegt in der Luft, endlich ein bisschen Zeit für sich.
    Schließlich setzt das beruhigende Knacken des Automaten ein. Philippe streckt automatisch die Hand aus, um dieScheine herauszunehmen, doch stattdessen trifft es ihn wie ein Schlag. Auf dem Bildschirm stehen wie in Stein gemeißelt die schicksalhaften Worte: »Auszahlung verweigert. Karte eingezogen.«

Freundschaft über alles
    Philippe zieht die Tür seines Zimmers hinter sich zu. Im Flur kommen und gehen die Zimmermädchen mit ihren Wagen, auf denen sich Putzmittel, Handtücher und Bettwäsche stapeln.
    Im Erdgeschoss übergibt er dem jungen Mann am Empfang seinen Schlüssel und zahlt mit dem Geld, das er für diesen Zweck auf die Seite gelegt hat.
    »Ich hoffe, Sie waren zufrieden?«
    »Ja, sehr.«
    Der junge Mann gibt in die Tastatur seines Computers einen Druckauftrag ein.
    »Hier, Ihre Rechnung.«
    »Danke.«
    »Ich habe zu danken.«
    Philippe geht durch den Eingangsbereich und tritt hinaus ins laue Tageslicht. Es ist Mittag. Der Tag verspricht rundum angenehm zu werden.
    Er geht zur Gare Montparnasse. Dort nimmt er ein Schließfach – vier Euro für achtundvierzig Stunden –, verstaut seinen Koffer und seine Laptop-Tasche darin. Dann spaziert er durch das Viertel, in dem er sich mit Jérôme, seiner Frau Gaëlla und ihrem Sohn Victor verabredet hat. Erkommt an den Theatern und Sex-Shops der Rue de la Gaîté vorbei, geht dann zurück zum Boulevard du Montparnasse und der Rue de Rennes. Die Terrassen sind brechend voll mit Menschen, die allein, zu zweit oder in kleinen Grüppchen an Tischen sitzen, vor sich Salate und schmackhaft belegte Sandwichs, begleitet von einem Fläschchen Wein, einem Bier oder einer Halbliterflasche Mineralwasser.
    Zum Mittagessen begegnet er wieder dem rotgelben Clown mit dem eingefrorenen Lächeln. Er nimmt zwei Hamburger – zusammen ein Euro neunzig –, die er auf einer Bank in der Sonne verspeist. Er hat noch neun Euro und dreiundzwanzig Cent in der Tasche, gerade genug, um seine Kinokarte zu bezahlen.
    Um I3 Uhr trifft er Jérôme, seine Frau und ihren Sohn. Sie beschließen, in eine der angesagten Komödien zu gehen, denn »unser Leben ist so ein Hundeleben, da brauchen wir was zum Lachen«. Ein Bedürfnis, das offensichtlich die meisten teilen: In beiden Kinos sind die Vorstellungen, die in halbstündigem Abstand beginnen, schon fast ausverkauft.
    »Ich hab eine Zehnerkarte, da nehme ich gleich für dich eine mit, und du gibst mir das Geld danach, okay?«
    Philippe nimmt Jérômes Angebot an.
    Nach dem Film spazieren sie durch die Straßen und lassen sich schließlich auf einer Terrasse an einem frei gewordenen Tisch nieder, um etwas zu trinken. Philippe hört zu, wie die beiden über Gott und die Welt plaudern, vermeidet es, zu viel von sich, Sandrine oder seiner Situation zu erzählen, und stellt lieber Fragen zu ihrem Leben und zu Gaëllas zweiter Schwangerschaft – sie erwartet ein Mädchen, mit dessen Geburt im September zu rechnen ist. Mitten im Gespräch steht Gaëlla auf, um Victor zur Toilette zu begleiten.Jérôme schaut ihnen liebevoll nach und wendet sich wieder an Philippe.
    »Was ist denn los? Du machst ja vielleicht ein Gesicht!« »Ich muss dir etwas sagen …«
    Philippe erzählt ihm die Wahrheit über alles, was er in den letzten fünf Wochen erlebt hat. Schonungslos, ohne Selbstmitleid oder Ausflüchte.
    »Ich hatte nicht nachgerechnet, dass heute schon der Siebte ist und am Fünften die Unterhaltszahlung abgegangen ist. So, jetzt weißt du alles. Das Problem ist, ohne Job keine Wohnung, ohne Wohnung kein Job …«
    Jérôme sitzt schweigend da, den Blick in sein Bier versenkt.
    »Wenn du mich ein bisschen bei euch wohnen lassen könntest … Nicht lange, verstehst du, nur für ein paar Tage oder Wochen, dass ich ein bisschen Zeit gewinne …«
    Jérôme betrachtet noch immer sein Bierglas.
    »Ich schäme mich, weißt

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