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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harold Cobert
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stundenlang durch die Abteilungen, hört sich Auszüge aus neuen CDs an, blättert in den aktuellen Bestsellern, vergleicht die verkaufsfördernden Angebote einer Welt, in der sogar die Kultur auf Pump zu haben ist: »Zahlung in fünf Raten«, »Zahlung in zehn Raten«, »monatlich zehn Euro für ein Jahr« …
    Als er eines Nachmittags in der Kinderabteilung auf gut Glück das Inhaltsverzeichnis eines Sammelbands von Volksmärchen überfliegt, fallen ihm fast die Augen aus dem Kopf: Der Sternenprinz und die Prinzessin der Morgenröte lautet eineÜberschrift. Er schlägt das Kapitel auf und liest die Geschichte, um die er so oft angebettelt wurde und die er so oft erzählt hat, zum ersten Mal in Worte gefasst, die nicht seine sind. Es ist eine aufwendig illustrierte Ausgabe, ein teures Buch. Er nimmt es und reiht sich in eine der Schlangen ein, die zu den Kassen führen. Alle sind geöffnet und die Männer und Frauen, die dort für einen reibungslosen Ablauf sorgen sollen, fertigen im Akkordtempo Kunden ab, dennoch staut es sich. Mitten in der Woche drängen sich in der Fnac die Menschen wie an einem verregneten Samstag im Herbst. Philippe sieht sich um. Die wenigsten halten nur einen Artikel in der Hand. Die meisten warten mit vollen Armen. Alles in allem wird massenhaft eingekauft. Die Frau vor ihm hat nicht weniger als drei Romane, vier CDs und zwei DVDs ausgewählt.
    Als er an die Reihe kommt, gibt er dem Kassierer das
    Buch und stellt sich vor das kleine Kartenlesegerät.
    »Haben Sie die Fnac-Karte?«
    Philippe schüttelt den Kopf, und der Kassierer gibt auf seiner Tastatur rasch etwas ein. Die zu zahlende Summe erscheint auf dem Bildschirm des Lesegeräts.
    »Wenn Sie bitte Ihre Karte einschieben und Ihren Pin-Code eingeben würden?«
    Das tut Philippe. Ein paar Sekunden verstreichen, dehnen sich in die Länge. Der Kassierer beugt sich über das Gerät, zieht Philippes Karte heraus und reibt damit kräftig über seine Hose.
    »Nicht schlimm«, sagt er, »kommt schon mal vor.«
    Er gibt Philippe die Karte zurück und bittet ihn, noch einen Versuch zu starten. Wieder ohne Erfolg. Nun versucht der Kassierer ein zweites Mal, den Magnetstreifen auf der Karte seines Kunden zu aktivieren.
    »Haben Sie vielleicht noch eine andere Karte?«
    »Nein …«
    In der Schlange recken sich die ersten Hälse, um zu sehen, was die Ursache für den unerwarteten Stillstand ist. Einige werfen schon entnervte Blicke auf ihre Armbanduhren oder seufzen verärgert.
    »Hier. Könnten Sie es noch einmal versuchen?«
    Das tut Philippe. Nach ein paar Sekunden ein Knacken, und die Kasse spuckt endlich den kostbaren Beleg aus.
    »Vielen Dank.«
    Philippe nimmt seinen Einkauf entgegen, holt sich an der Empfangstheke ein Geschenkpaket und schafft es trotz dieser unerwarteten Verzögerung noch knapp vor Schalterschluss zur nächsten Poststelle, um seiner Tochter das Buch zu schicken. Ehe er es in den Umschlag schiebt, knickt er die Ecke der Seite um, auf der die Geschichte beginnt, die er ihr so oft erzählt hat, und schreibt neben die Überschrift: »Dein Papa, der dich lieb hat und an dich denkt.«
    Philippes Bemühungen bleiben vergeblich. Obwohl er kämpft wie ein Löwe, immer mehr Blindbewerbungen schreibt und ständig bei den Firmen nachfragt, auf deren Stellenangebote er in den vergangenen Tagen reagiert hat, bleiben die Antworten aus, er bekommt nicht einmal Absagen. Und als er sich um einfache Jobs als Bedienung bemüht, sogar bei Quick oder McDonald’s, erklärt man ihm, alle Stellen seien besetzt oder er sei für diese Art von Arbeit überqualifiziert.
    Am Tag nach dem Vorfall in der Fnac hebt Philippe Geld ab, um das Hotelzimmer zu bezahlen und bis zum Wochenende,an dem er mit Jérôme verabredet ist, seinen Alltag zu bestreiten.
    Einen Tag vorher ruft Jérôme ihn an: »Bleibt es dabei, dass wir uns morgen sehen?«
    »Aber klar doch!«, antwortet Philippe.
    »Sollen wir am frühen Nachmittag ins Kino gehen?«
    »Super.«
    »Treffpunkt also wie letztes Mal, gegen eins, und dann suchen wir uns einen Film aus?«
    »Perfekt!«
    Am Tag X frühstückt Philippe im Eingangsbereich des Hotels, schaut bei der Poststelle vorbei, wo kein Brief auf ihn wartet, trinkt noch einen Kaffee und liest dabei die Zeitung. Die zwei Euro zwanzig zahlt er mit seinem letzten Zehn-Euro-Schein. Zusammen mit dem Wechselgeld und den Münzen, die er noch hatte, bleiben ihm fünfzehn Euro und dreizehn Cent.
    Ehe er ins Hotel zurückgeht, macht er an einem

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