Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harold Cobert
Vom Netzwerk:
meine Schüler zu beschimpfen und meine eigenen Stunden zu schwänzen. Am Ende bin ich gefeuert worden, dann habe ich meine Wohnung verloren … Die klassische Geschichte halt! Seitdem bin ich wie Diogenes, der griechische Philosoph, der in einer Tonne gelebt hat. Aber ich trinke nicht mehr … Na ja … jedenfalls etwas weniger im Moment!«
    Er lacht, ein raumfüllendes, schallendes Lachen. Philippe lächelt.
    »Und du?«
    Philippe schildert ihm kurz seine Geschichte.
    »Du kannst es noch schaffen«, bemerkt Serge, als er fertig ist. »Die Straße hat dich noch nicht zu sehr kaputt gemacht.
    Du solltest mit der Sozialarbeiterin und dem Anwalt sprechen. Die sind wirklich tüchtig und kompetent.«
    Als Philippe ihm antworten will, hallen gleichmäßige Schritte durch den Flur.

Die Admiralin
    Eine Frau im Hosenanzug kommt, nachdem sie Franck und Dalida begrüßt hat, in Philippes Kabine.
    Serge klettert rasch von seinem Bett und nimmt ironischstramme Haltung an.
    »Admiralin!«
    Sie lächelt über Serges Scherz. Am Revers ihrer Jacke ist ein Malteserkreuz befestigt.
    »Rührt Euch, Diogenes, rührt Euch …«
    Er steigt wieder aufs Bett.
    »Sind Sie Philippe?«
    »Ja.«
    »Édith de Rotalier«, sagt sie und streckt ihm die Hand entgegen. »Ich bin die Leiterin von Le Fleuron , aber alle Passagiere nennen mich ›die Admiralin‹.«
    Sie schütteln sich die Hand.
    »Seien Sie willkommen an Bord.«
    »Danke.«
    Sie hockt sich nieder und streichelt Baudelaire.
    »Wie heißt er?«
    »Baudelaire.«
    »Da wird sich Diogenes aber freuen …«
    Sie schenkt Serge ein kurzes Lächeln und wendet sichwieder Baudelaire zu, der schon die ersten zufriedenen Schnarchgeräusche von sich gibt.
    »Wie sieht es mit seinem Impfstatus aus?«
    »Ich weiß nicht«, antwortet Philippe. »Ich habe ihn auf der Straße aufgelesen. Eigentlich müsste man sagen, er hat mich aufgelesen …«
    Sie steht auf.
    »Ich werde den Tierarzt als Erstes zu Ihnen schicken. Wir arbeiten eng mit den Studenten der Veterinärschule von Maisons-Alfort zusammen, die sind nämlich sehr gut. Hat Ihnen Bruno ansonsten die Hausordnung erklärt?«
    »Ja.«
    »Hat er Ihnen gesagt, dass Sie achtundzwanzig Tage an Bord bleiben dürfen?«
    »Nein.«
    »Dann wissen Sie es also jetzt. Achtundzwanzig Tage, nicht einen Tag länger, damit hier auch andere Passagiere, die es nötig haben, mit ihren Leidensgefährten ein bisschen verschnaufen können.«
    Philippe nickt zustimmend.
    »Ich möchte Sie auch bitten, uns Bescheid zu sagen, falls Sie sich vorher entscheiden, woanders hinzugehen, damit wir nicht auf Sie warten und einen Platz freihalten, der jemand anderem nützlich sein könnte.«
    »Natürlich.«
    Sie wendet sich an Serge: »Wie läuft’s mit der Flasche?«
    »Hin und wieder ein leichter Nieselregen, aber insgesamt steht das Barometer auf Schön!«
    Edith de Rotalier verschränkt die Arme vor der Brust, und ihr Blick durchbohrt ihn wie eine Harpune.
    »Das war nur ein Scherz, Admiralin, seit zwei Wochen nicht ein einziger Tropfen.«
    Sie mustert ihn skeptisch, alles andere als überzeugt.
    »Im Ernst, Admiralin, ich gebe Ihnen mein ritterliches Matrosenehrenwort!«, fügt er hinzu und hebt die Hand, um seine Aufrichtigkeit zu unterstreichen.
    »Es muss sein, Serge. Jede Unterbrechung ist ein weiterer Schritt hin zur endgültigen Abstinenz und Wiedereingliederung.«
    Sie nimmt die Arme wieder von der Brust und wendet sich an Philippe.
    »Ich werde Ihnen den Tierarzt schicken.«
    Die beiden schütteln sich nochmals die Hand.
    »Und wenden Sie sich ruhig an unsere ehrenamtlichen Helfer oder auch direkt an mich, wenn Sie Fragen haben.«
    »Danke.«
    Sie lächeln sich zu, und die Admiralin verlässt die Kabine. Philippe dreht sich zu seinem Philosophen-Kompagnon um und macht ein beeindrucktes Gesicht.
    »Wem sagst du das«, bemerkt Serge. »Tja, die ist wirklich ein Mordsweib!«

Lymphknoten
    Baudelaire lässt sich, wenn auch mit angelegten Ohren und hochgezogenen Pfoten, brav auf die Seite legen. Er sucht den Blick von Philippe, der hinter ihm hockt, seinen Kopf hält und ihn streichelt. An den Türrahmen gelehnt, verfolgt Franck das Geschehen, seine Hündin Dalida auf dem Arm.
    »So!«, sagt der Tierarzt, ein junger Mann um die fünfundzwanzig, während er die Spritze herauszieht.
    Baudelaire springt sofort auf und schmiegt sich an Philippe, der ihm kräftig über den Bauch und den Rücken reibt.
    »Nicht ein einziges Mal gejault, kein Mucks … Er ist wirklich tapfer«,

Weitere Kostenlose Bücher