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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harold Cobert
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Philippe.
    »Die Regeln sind ein bisschen streng, aber es ist okay, du wirst sehen.«
    Er reicht ihm die Hand.
    »Franck … und Dalida«, sagt er, auf den Dackel deutend.
    »Philippe und Baudelaire.«
    Händeschütteln. Franck betrachtet die beiden spielerisch zankenden Hunde. Baudelaire tut so, als ließe er sich von Dalida dominieren, aber jedes Mal, wenn sie zu übermütig wird, weist er sie wieder in ihre Schranken.
    »Warum bist du hier?«, fragt ihn Franck.
    »Trennung, keine Wohnung mehr, kein Job mehr … Der übliche Teufelskreis. Und du?«
    »Ich bin Verkäufer in den Galeries Lafayette.«
    »Aber was machst du dann hier?«
    »Zeitvertrag, Mindestlohn, Eltern, mit denen ich nicht mehr rede, weil ich schwul bin, also von denen auch keine Kaution und somit keine Wohnung …«
    »Wie alt bist du?«
    »Neunzehn. Mein Alter hat mich rausgeschmissen, als ich siebzehn war.«
    Philippe verdreht die Augen.
    »Aber ich bin ganz optimistisch. Die haben mir für nach dem Sommer einen unbefristeten Vertrag versprochen …«
    Die vor ihnen Wartenden suchen ihre Sachen zusammen. Ihre Blicke richten sich auf den Kahn. Eine Frau kommt über den Steg.
    Es ist genau 18 Uhr 30.

Die Passagiere
    Wer den Steg überschritten hat, ist kein Obdachloser mehr, sondern ein »Passagier«. Alle werden von Nadine in Empfang genommen, die seit der Eröffnung von Le Fleuron im Jahr 1999 ehrenamtliche Helferin ist. Sie händigt jedem eine kleine nummerierte Magnetkarte aus, die Zugang zu einer Kabine gewährt. Einige Stammgäste geben sofort einen Teil ihrer Sachen bei der Gepäckaufbewahrung ab, um sich in ihrem Zimmer oder im »Rauchsalon« auszuruhen, einem Raum in der oberen Etage, in dem sie sich bis zum Abendessen aufhalten können. Die Neuen wie Philippe und Baudelaire werden von Bruno an die Hand genommen, einem Arzt im Ruhestand, der ihnen die Regeln des Bordlebens erklärt: kein Alkohol, keine Waffen, Respekt gegenüber den ehrenamtlichen Helfern, die für sie da sind, gegenüber den Räumlichkeiten und der Sauberkeit an Bord, und schließlich das Verbot, Kopfbedeckungen zu tragen oder Handys einzuschalten.
    »Das Essen wird um 19 Uhr 45 im Speisesaal eingenommen«, fährt er fort. »Zapfenstreich ist um 22 Uhr. Heute Abend können Sie – wie alle zwei Wochen – kostenlos einen Tierarzt, eine Sozialarbeiterin und einen Anwalt zu Rate ziehen.«
    Sie gehen hinunter in die ehemaligen Laderäume, die zu drei Schlafsaal-Einheiten umgebaut wurden, von denen jede aus mehreren Kabinen mit Kojen und einem Sanitärbereich mit Duschen, Waschbecken und Toiletten besteht. Ein langer Flur führt durch den Schiffsrumpf, zu beiden Seiten des Flurs liegen die Zimmer. Zahlreiche Deckenleuchten spenden Licht. Es dominieren Farben in Holztönen. Alles ist sauber und hell.
    Philippe und Baudelaire gehen in ihre Kabine. Die von Franck und Dalida liegt genau gegenüber. Alle Kabinen haben den gleichen Zuschnitt: ein Bullauge zur Seine hin und zwei Etagenbetten, deren unteres jeweils für den Passagier mit Hund reserviert ist. Um diese Uhrzeit haben die meisten die Türen aufgelassen.
    Philippe legt seine Tasche ab und sieht sich um: Auf der Bettdecke wimmeln keine Parasiten, es gibt ein Kopfkissen und sogar Laken. An der Wand dienen mehrere große Haken dem Aufhängen von Kleidern oder Handtüchern.
    Während er seine Sachen unterbringt, taucht Serge auf, Spitzname Diogenes, sein Zimmergenosse, ein vom Alter gezeichneter Mittfünfziger, das Gesicht gegerbt vom Alkohol und dem jahrelangen Leben auf der Straße.
    »Tag, Franck! Alles klar?«
    Die beiden Männer schütteln sich die Hand.
    »Und du? Wie geht’s dem großen Diogenes?«
    »Hab schon Schlimmeres erlebt.«
    Er schnappt sich Dalida, hebt sie mit ausgestreckten Armen hoch und wirbelt sie durch die Luft. Die Hündin bellt und wedelt mit dem Schwanz. Serge hält sie an sein Gesicht, gibt ihr ein Küsschen und wird dafür zur Belohnung kräftig geleckt. Er setzt sie wieder auf dem Boden ab und betritt Philippes Kabine. Sie stellen sich vor, schütteln sichdie Hand. Serge geht in die Hocke und streichelt Baudelaire.
    »Wie heißt er?«
    »Baudelaire.«
    »Wegen Die braven Hunde ?«
    »Kennst du das?«
    Serge steht wieder auf.
    »Ich war Philosophielehrer, ehe ich Penner geworden bin …«
    Er klettert auf sein Bett.
    »Warum bist du hier?«, fragt ihn Philippe.
    »Meine Frau ist vor fast zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich saß am Steuer. Ich habe angefangen zu trinken,

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