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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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von jeder erdenklichen Größe und Figur, im Durchschnitt aber eher schlank mit langen bleichen Gesichtern und großen Augen. Kinder sah ich keine. Mindestens zwei blonde Personen fielen mir auf, aber im Allgemeinen herrschte hellbraunes Haar vor. Sie bildeten eindeutig eine eigene ethnische Gruppe, und mit einiger Verspätung wurde mir klar, dass es ein klassischer Fall von rassistischer Fehleinschätzung von mir gewesen war, als ich angenommen hatte, der Typ im Zug sei derselbe gewesen wie der, der auf mich geschossen hatte. Ziemlich peinlich für einen Londoner gemischter Herkunft, von dem man außerdem eine geschulte Beobachtungsgabe erwarten dürfte. Ich schob die Schuld auf die blöden Kapuzen.
    Zach warnte uns, dass die Stillen Leute uns vermutlich berühren wollten.
    »Berühren? Wo denn?«, fragte Lesley.
    »Ach, wie Blinde. Sie sind ziemlich taktil veranlagt.«
    »Na toll«, sagte Lesley.
    »Und ihr müsst sie auch berühren«, erklärte er. »Nicht viel, nur ein bisschen – der Höflichkeit wegen.«
    »Sonst noch was?«, fragte ich.
    »Oh, ja. Nicht laut reden. Das betrachten sie als Fauxpas.« Er drehte sich um und betrat den Raum.
    Ich folgte ihm. Sofort ging das Berühren los. Nicht grob, aber es hatte auch nichts Verstohlenes. Finger glitten übermeine Schultern, eine Hand legte sich kurz auf meinen Schenkel, ich musste niesen, als mir jemand über die Lippen strich.
    »Oh Gott«, sagte Lesley hinter mir. »Als wäre man noch mal fünfzehn.«
    Aus Höflichkeit streifte ich die Leute, an denen ich vorbeikam, mit den Handrücken. Das schien ihnen zu genügen. Sie rochen nicht anders als andere Menschen, manche nach Schweiß, andere nach Essen, Bier oder einem Hauch Schweinemist. In der Mitte des Saales stand ein langer schmaler viktorianischer Eichentisch – aus echtem Holz. Nach all dem Steingut roch ich das praktisch schon von weitem.
    Hinter dem Tisch erwartete uns ruhig ein großer schlanker Mann in einem schwarzen Maßanzug mit Siebziger-Jahre-Aufschlägen und breiter Krawatte. Seine Augen waren hinter einer Pilotenbrille verborgen, aber seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben in einem Ausdruck trockenen Humors. Die Macht, die er ausstrahlte, traf mich mit einer Wucht in die Brust wie der Sound des besten Bassverstärkers der Welt. Dergleichen hatte ich erst ein Mal gefühlt, nämlich als ich dem Alten Mann vom Fluss, Vater Themse persönlich, gegenübergestanden hatte. Doch hier waren Stolz und Schweiß im Spiel, Äxte und Eisen und heißer Dampf. Das Dröhnen der Hämmer und die Hitze des Brennofens.
    Oh Mann, dachte ich, wenn das nicht der Zwergenkönig persönlich ist, bin ich die Präsidentin der Landfrauen von Cricklewood. Alles passte – abgesehen davon, dass er alles andere als ein Zwerg war, nicht wie ein König daherkam und sie keine Schwerter oder Ringe der Macht herstellten,sondern Vesperteller und Suppenschüsseln. Trotzdem – das hier war ein weiterer verflixter Genius loci oder jemand mit fast so viel Macht. Nightingale würde einen Anfall kriegen – wenn auch vermutlich äußerst gesittet, wie es seine Art war.
    »Mein Name«, wisperte der Mann, »ist Matthew Ten-Tons, und das ist meine Tochter Elizabeth.«
    Neben ihm stand eine junge Frau mit enganliegender Sonnenbrille und hellbraunem, in einen langen französischen Zopf geflochtenem Haar. Sie hatte ein schmales Kinn, einen kleinen Mund, große Augen und eine winzige Stupsnase, die kaum ausreichte, um die Sonnenbrille oben zu halten. Trotz des grünen Lichts sah man, dass ihre Haut außerordentlich blass, ja fast durchscheinend war. Ich bemerkte auch, dass Zach den Blick abwandte, als sie uns musterte.
    Der Goblinjunge und die Zwergenprinzessin, dachte ich. Das kann ja nur böse enden.
    Matthew Ten-Tons zeigte auf eine riesige ledergepolsterte Bank mit Messingbeschlägen, die an unserer Seite des Tisches stand, und bedeutete uns, Platz zu nehmen. Elizabeth winkte Lesley und Reynolds, sich ihr gegenüber zu setzen. Sobald wir uns niedergelassen hatten, schlossen sich die Reihen der Leute hinter uns. Hände legten sich mir auf Rücken, Schultern und Arme, strichen über meine Kleidung, zupften mir imaginäre Fusseln von der Reflektorweste und verpassten mir eine eigentlich recht angenehme Nackenmassage. Klassische soziale Körperpflege, erklärte mir Dr. Walid später, wie sie von anderen Primaten gern ausgeübt wird, um den Gruppenzusammenhalt zu stärken. Er fügte hinzu, bei den Menschen habe sich als Ersatz dafür die

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