Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Sprache gebildet – womit erklärt wäre, warum man mitLeuten, mit denen man an der Bushaltestelle wartet, total blödsinnige Gespräche führt und sich später fragt, was zum Teufel einen da geritten hat.
Als ich mich gesetzt hatte, packte Ten-Tons meine Hand, zog mich halb über den Tisch und begann eingehend meine Finger und Nägel zu untersuchen. Dann drehte er meine Hand um und strich mit seiner schwieligen Handfläche darüber. Mit einem verächtlichen Schnauben ob der Glätte meiner Hände ließ er sie schließlich los. Am anderen Ende des Tisches unterzog Elizabeth Lesley und Reynolds derselben Prozedur. Zachs Hände blieben unangetastet – ich vermutete, sein Mangel an Hornhaut war hier bereits bekannt.
Dann beugte sich Ten-Tons so nahe zu mir, dass ich seinen Atem auf meiner Wange fühlen konnte. »Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
»Nein danke«, flüsterte ich. »Dazu haben wir, glaube ich, keine Zeit.«
Das war natürlich nicht der wahre Grund, aber man beleidigt seinen Gastgeber nicht schon beim ersten Besuch. Captain Picard wäre stolz auf mich gewesen.
Ich sah zu Elizabeth, Reynolds und Lesley hinüber, deren Köpfe sich auch fast berührten – worüber sie redeten, konnte ich nicht hören. Plötzlich drehten sich alle drei zu Zach um. Er zuckte zurück.
Ten-Tons sah mich eindringlich an. »Was ist so eilig, dass nicht einmal Zeit für einen Tee bleibt?«
»Keine Zeit für Tee«, flüsterte eine Stimme direkt hinter meinem Kopf, dann eine andere Stimme weiter entfernt, und dann murmelten viele Stimmen in der Ferne den Satz wie ein Echo. Keine Zeit für Tee. Eilig.
»Ich glaube, Kevin Nolan könnte euch umbringen«, flüsterte ich. Hinter mir pflanzten sich meine Worte durch den Saal fort. Kevin Nolan … umbringen.
Ten-Tons’ Lippen zuckten, als versuche er nicht zu lachen. »Ich glaube, da irren Sie sich gewaltig«, wisperte er. »Kevin hat uns noch nie mit seiner Anwesenheit beehrt. Er hat entsetzliche Furcht vor den Stätten der Stille.«
Irren, Anwesenheit, Furcht , wisperte der Chor.
»Ich glaube nicht, dass er es absichtlich tun will«, sagte ich.
Absichtlich, glaube, will , wisperte der Chor. Ich hätte einiges dafür gegeben, wenn er damit aufgehört hätte.
»Wie sein älterer Bruder einmal sagte«, wisperte Ten-Tons, »Kevin würde keiner Fliege etwas zuleide tun.«
Neben mir gab Zach ein leises Schnauben von sich – sicher dachte er an sein Erlebnis in Shepherd’s Bush.
»Ich glaube, er könnte Ihnen Nahrungsmittel geliefert haben, die mit Escherichia coli verseucht sind«, flüsterte ich.
Diesmal blieb die Menge stumm, und auf den Gesichtern der beiden Ten-Tons lag ein identisch verwirrter Gesichtsausdruck. Mir wurde klar, dass sie keine Ahnung hatten, wovon ich redete.
»Die letzte Lieferung war verdorben«, flüsterte ich. Verdorben , nahm die Menge um mich das Wort auf. Matthew Ten-Tons sah schockiert aus.
»Sind Sie sich dessen sicher?«
Ich hatte die Fotos vergrößert, die Lesley von den Paletten in Kevins Van gemacht hatte. Der Schriftzug auf der Seite lautete Coates and Son – ein Gemüsegroßhändler, der an ebenjenem Morgen vom Hygieneamt mit einem Verkaufsverbotbelegt worden war und offenbar beschlossen hatte, seine Ware unter der Hand zu verticken. Billig. Natürlich an Kevin, der das Zeug in seinen Transit gepackt und ans Stille Volk geliefert hatte – direkt vor meinen und Lesleys Augen.
»Bei meinem Lehrlingseid«, sagte ich unwillkürlich etwas lauter. »Aber was wichtiger ist, hat jemand von Ihnen schon von den Sachen gegessen, die Sie vorgestern bekommen haben?«
Ten-Tons lehnte sich zurück, seine Brust hob und senkte sich, sein Mund klaffte auf, und er gab ein stakkatohaftes Zischen von sich. Sein Gesicht lief rot an, und noch immer zischend beugte er sich vor und klatschte mit der Hand auf die Tischplatte.
Ich zuckte zurück und war unentschlossen, ob ich mich so klein wie möglich machen oder aber nach vorn stürzen und ihn mit dem Heimlich-Handgriff retten sollte. Ich wollte gerade aufspringen, da wurde mir klar, dass er lachte.
»Das essen wir doch nicht«, wisperte er, als er sich wieder unter Kontrolle hatte. »Unsere Lebensmittel kaufen wir beim Juden.«
»Beim Juden? Was für ein Jude?«
Ten-Tons tippte seiner Tochter auf den Arm. »Wie heißt der Jude wieder?«
Elizabeth verdrehte die Augen – oder jedenfalls bildete ich mir das ein, mit der Sonnenbrille war es schwer zu erkennen. »Tesco«, wisperte sie, »er meint
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