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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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mir durch ihren Gesichtsausdruck deutlich zu verstehen, dass sie alle Routinefragen schon gestellt hatte und ich, falls ich nicht noch etwas Neues in petto hätte, jetzt den Mund halten und den armen Kerl in Ruhe lassen sollte.
    Als ich zum Auto ging, rief Lesley mich an.
    »Pass mal auf – dieses Haus«, sagte sie.
    »Welches Haus?«
    »In das Kevin Nolan sein Gemüse gebracht hat.«
    »Ja?«
    »Und woher er das Geschirr hat. Dieses Geschirr, von dem sich Tonnen in dem Lagerhaus stapeln?«
    »Ja, das Haus in der Moscow Road«, sagte ich.
    »Dieses Haus existiert nicht.«

15
Bayswater
    Die Briten waren immer wahnsinnig überambitioniert. Das kann man als Mut interpretieren, je nach Blickwinkel aber kann es auch verdächtig nach Unüberlegtheit aussehen. Das gilt auch für die Londoner U-Bahn, die von einer Sorte Unternehmer entwickelt wurde, deren Sorglosigkeit nur vom Ausmaß ihrer Koteletten übertroffen wurde. Während ihre nicht weniger backenbärtigen Gegenstücke jenseits des Atlantiks damit beschäftigt waren, sich im Bürgerkrieg gegenseitig in Stücke zu hauen, begannen sie mit dem Bau der Metropolitan Line, von der im Vorfeld nur eines feststand: dass es unmöglich sein würde, sie mit Dampflokomotiven zu befahren.
    Eine Erkenntnis hatten die Erfahrungen mit den bereits bestehenden Tunneln der Überlandeisenbahnen immerhin erbracht. Wenn man dem Vergnügen, Rauch einzuatmen, nichts abgewinnen konnte, war es ratsam, die Tunnel so schnell wie nur möglich zu durchqueren. Auf keinen Fall sollte man auf Dauer darin verweilen, geschweige denn an einer Station innerhalb des Tunnels halten, um Passagiere ein- und aussteigen zu lassen. Man versuchte es probehalber mit Drucklufttunneln, aber es war unmöglich, diese genügend abzudichten. Man versuchte es mit Dampferzeugungmittels heißer Backsteine, aber das funktionierte nicht zuverlässig. Man versuchte es mit Koks statt Kohle, aber die hierdurch erzeugten Gase waren nur noch giftiger. Die Ideallösung hieß Elektrolok, aber dafür waren sie zwanzig Jahre zu früh dran.
    Also blieb es notgedrungen beim Dampf. Und daher wurde die Londoner Untergrundbahn letztlich viel weniger untergründig als ursprünglich geplant. Wo die Schienen unter einer Straße hindurchführten, baute man Lüftungsgitter ein, und wo nicht, versuchte man, so oft es ging, die Tunneldecke gleich ganz wegzulassen. Ein berühmter derartiger offener Abschnitt befand sich an der Leinster Road, wo man, um die empfindsamen Augen der Bürgerschicht vor dem Anblick der unansehnlichen Bahn zu schützen, zwei Backsteinfassaden baute, die haargenau so aussahen wie die prächtige georgianische Häuserreihe, die für die Baugrube abgerissen worden war. Diese falschen Häuser mit aufgemalten, aber erstaunlich echt aussehenden Fenstern sind seither eine endlose Quelle der Belustigung für die Art Leute, die auch glauben, es sei irre witzig, für einen Hungerlohn arbeitende Pizzafahrer an eine falsche Adresse zu schicken.
    Das »Haus« an der Leinster Road kennt jeder, vielleicht mit Ausnahme von Hungerlohn-Pizzafahrern, aber von falschen Häusern westlich von Bayswater Station hatte ich noch nie gehört. Sobald man wusste, wonach man Ausschau halten musste, waren sie im Satellitenbild von Google Maps leicht zu finden, auch wenn der leicht schräge Winkel der Luftaufnahmen sie ein wenig verfälschte. Lesley und ich überredeten einen der Wohnungsbesitzer über dem Einkaufszentrum an der Moscow Road, uns einen Blickaus seinem Fenster zu gewähren, von wo aus man eine gute Sicht auf die Rückseite des Hauses hatte, in das Kevin Nolan sein Grünzeug geliefert hatte. Von hier aus sah man deutlich, dass die Gebäude zwar keine richtigen Häuser, aber doch mehr als nur Fassade waren.
    »Als hätte man nur die vorderen Zimmer gebaut«, sagte Lesley.
    Wo die hinteren Räume und der Garten hätten sein müssen, fiel der Boden abrupt sechs Meter ab. Unten verliefen die Gleise.
    »Ja«, sagte ich. »Aber warum?«
    Lesley schwenkte einen Schlüsselbund vor meinen Augen. »Sollen wir’s herausfinden?« Sie hatte ihn Kevin abgenommen, bevor man ihn nach Belgravia zum Verhör verfrachtet hatte.
    Die beiden Häuser hatten eine gemeinsame Fassade. Der Eingang, den Kevin benutzt hatte, hatte eine ganz normale Haustür mit einem rechteckigen Oberlicht darüber, stilistisch etwa Mitte der viktorianischen Ära. Wenn man dicht davor stand, sah man, dass die Tür in schlampiger Weise rot angestrichen worden war, ohne die vorige

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