Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Sie wissen?«
Als Stephanopoulos ihm von dem Lagerhaus an der Kensal Road erzählte, lachte er. »Ach Gott, ja. Diese Geschichte. Die Unbreakable Empire Pottery Company.«
Ich holte Notizbuch und Stift heraus, da Notizen machen ebenso wie Verdächtigen nachrennen oder einen Parkplatz finden nicht zu den Dingen gehört, die ein Detective Inspector gewillt ist, selbst zu erledigen.
»Gehört die auch Ihrer Firma?«, fragte Stephanopoulos.
»Wie Sie wahrscheinlich ahnen«, sagte Beale, »ist ein Familienunternehmen wie wir in diesen modernen Zeiten eine Rarität. Die Unbreakable Empire Pottery Company war einst unser Kronjuwel. Vor dem Krieg, Sie verstehen.«
Als es noch ein Empire gab, in das man die Waren verkaufen konnte, dachte ich.
Wie der Name vermuten ließ, war das größte Kaufargument für die Unbreakable-Empire-Töpferwaren, dass sie tatsächlich nahezu unzerbrechlich waren, zumindest im Vergleich zu gewöhnlichem Porzellan oder Steingut. Sie konnten von Trägern den Limpopo hinaufgeschleppt oder auf Elefanten gezurrt werden, und am Ende der langen, strapaziösen Reise konnte der Besitzer sicher sein, dass er trotz allem einen Teller zum Essen und – noch wichtiger – einen Pott zum Pinkeln haben würde. Nachttöpfe waren die weitaus gefragteste Ware gewesen.
»Ein Imperium, auf Kacke gegründet«, sagte Beale – offensichtlich ein beliebter Scherz von ihm.
»Und wo wurden die Sachen hergestellt?«, fragte ich.
»In London, in Notting Hill. Den meisten Leuten ist gar nicht klar, wie vielfältig Londons industrielle Landschaft früher war. Notting Hill war einst als ›Potteries and Piggeries‹ bekannt, weil es dort jede Menge Töpfereien und Schweinezuchten gab.«
Außerdem war es für die übelsten Lebensbedingungen im viktorianischen England bekannt – und mit Manchester als Konkurrenz bedeutete das: wirklich ziemlich übel.
»Jeder kennt den Brennofen an der Pottery Lane«, sagte Beale. »Aber alle denken, da wären nur Ziegel gebrannt worden.« Stephanopoulos und ich wechselten einen Blick. Da wir beide weder von dem Brennofen noch den Ziegeln je gehört hatten, hatten wir uns nichts dergleichen gedacht, aber das behielten wir einfach mal für uns.
Am Ende einer anstrengenden Woche des Ziegelhütens und Schweinebrennens pflegte sich die Bevölkerung von Notting Hill offenbar bei Hundekämpfen, Bären- und Rattenhatz zu entspannen, an Orten, an die sich ein abenteuerlustiger Gentlemen nur wagen durfte, wenn er sich nichts daraus machte, verprügelt und ausgeraubt zu werden oder sich die eine oder andere interessante Geschlechtskrankheit einzufangen. All das erzählte uns Beale mit dem sichtlichen Vergnügen eines Mannes, dessen Familie seit mindestens drei Generationen keinen Stall mehr hatte ausmisten müssen – dank Graham Beales Ur-Urgroßvater, einem des Lesens und Schreibens unkundigen Navvy aus Kilkenny, der die Unbreakable Empire Pottery Company 1865 gegründet hatte.
»Woher hatte er das Geld?«, fragte Stephanopoulos.
»Da haben Sie zielsicher den Finger draufgelegt«, sagte Beale – er konnte ja nicht ahnen, dass »Woher stammt dasGeld?« eine der drei Standardfragen der Polizei ist, neben »Wo waren Sie in der fraglichen Nacht?« und »Warum machen Sie es sich denn so schwer?«.
»Ja, wo treibt ein armer Ire wohl so viel Geld auf, noch dazu in jener Zeit?«, fragte er. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass sein Startkapital absolut legalen Ursprungs war.«
Es war nämlich so, dass die Navvies, die Eisenbahnbauer, gemessen am Standard der viktorianischen Arbeiterklasse, tatsächlich recht gut bezahlt wurden. Das war auch nötig, schließlich musste man dringend Männer von überall her für diese Schwerstarbeit unter gefährlichsten Bedingungen gewinnen. In der Mehrzahl der Fälle endete das großzügige Salär als Pisse an der Wirtshauswand oder wurde den Jungs von korrupten Arbeitsvermittlern, gierigen Subunternehmern oder ganz einfach dem Heer von Marketenderinnen aus den Händen gerissen, das den Bautrupps kreuz und quer durchs Land folgte.
Aber ein gewitzter und vorausblickender Mann konnte mit einigen Kumpels eine sogenannte Butty Gang gründen – eine Kameradschaft, die es ermöglichte, die Arbeitsvermittler, die einen großen Anteil des Lohns einstrichen, zu umgehen. Und wenn so eine Kameradschaft sich beispielsweise den Ruf aufgebaut hatte, gut im Tunnelbau zu sein, dann konnte sie einen vorteilhaften Handel mit dem Subunternehmer abschließen, der sich nichts
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