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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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einem One-Night-Stand weg, fühle ich mich danach schlecht und leer. Könnte kotzen und habe so was wie Entzugserscheinungen.
    sie! ist süchtig danach. Immer, wenn es ihr schlecht geht, will sie! es haben. Wenn sie alleine, einsam und traurig ist, braucht sie! es. Koste es, was es wolle.
    Die Sexgrenze bei Frauen fällt mit 23 Jahren aufwärts. Vorher wird Wochen gewartet, bevor es in die Kiste geht. Nie ohne die klare Option auf eine Beziehung. Meistens wird erst gebummert, wenn man zusammen ist. Das »erste Mal« miteinander ist dann auch was ganz doll Wichtiges. Darüber muss man selbstverständlich reden. In Extremfällen werden Kerzen angezündet und Kuschelrock-CDs aufgelegt. Das alles hat sich mit 23-Aufwärtsigen erledigt. Die 23-Aufwärtsigen hatten ein paar Männer und merken, dass es auf einen mehr oder weniger nicht ankommt, dass dieses ganze zelebrieren null Sinn macht, ihre Vagina nicht ausleiert und dass es auch niemand mitbekommt, solange man es nicht der besten Freundin erzählt. (»Das sage ich nur dir, keinem sagen!«) Das bedeutet, die Reihenfolge
    Erstes Date: Essen gehen/Kuss.
    Zweites Date: Knutschen.
    Drittes Date: Busen anfassen.
    Viertes Date: »Ja, ich will mit dir zusammen sein.«
    Fünftes Date: Video gucken/Pimpern
    hat sich erledigt. Wenn man eine 23-Aufwärtsige auf einer Party knutscht, wird später gevögelt.
    Es war kurz nach vier Uhr, als sie! im Location auftauchte. Jetzt ist es kurz vor halb sechs und wir haben noch kein Wort miteinander gesprochen. Aber ich merke, wie sie! mich pausenlos, auf einen schwachen Moment wartend, fixiert, sie! trägt ein rotes, enges Top und eine schwarze Hose, sie! ist die Einzige in diesem kläglichen Betonraum, die nicht wie eine explodierte Gurke aussieht oder stoned unnötig durch die Gegend springt. Ihre Haare sind offen und glatt geföhnt. Egal wohin ich gehe, ihre Blicke bleiben an mir kleben. Es ist als ob ich im Kreis um einen Leuchtturm renne und es nicht schaffe, seinem Lichtkegel zu entkommen. Andererseits, würde ich es wirklich wollen, könnte ich die Richtung ändern oder einfach stehen bleiben.
    sie! scannt alles ab. Es ist niemand hier, der ihr morgen einen Vorwurf deshalb machen wird, sie! lächelt. sie! kommt. Der Deal kann starten, sie! riecht anders als früher. Grünes Licht steht ihr.
    Durch das Klicken des Türschlosses wache ich auf. Die Interconti -Hotelzimmer sind schroff. Die Wände sind pastellig gestrichen.
    Vor ein paar Stunden hat sie! das gemacht, worum ich während der Beziehung gebettelt habe: sie! hat gesagt, dass sie mich liebt. Ich habe ihr nicht geglaubt, sie! sich auch nicht, sie! hat mich mehr geküsst als ich sie!.
    Der Sex war nicht wie früher. Ich habe versucht mehr als ein gemeinsames Ineinander-Onanieren hinzukriegen. Aber das hat überhaupt nicht geklappt. Ich habe versucht, sie! gestern Nacht zu lieben – sie! hat mich gebumst. Frauen können zwar einen Orgasmus vortäuschen, aber nur Männer können beim Sex Liebe simulieren.
    Ich wache also auf und sie! ist weg. Eigentlich habe ich mir das in der letzten Zeit jedes Mal vor dem Einschlafen gewünscht. Da ging es mir morgens aber deutlich besser.
    Jedenfalls weiß ich jetzt, dass mein Sperma keine Droge ist. Höchstens eine Ersatzdroge. Vielleicht Morphium. Auf keinen Fall ist mein Glibber Popeye-Spinat. Und ihre Droge bin auch nicht mehr ich, sondern sie! selbst.

Zwölfeinhalb:
… hat aber auch sein Gutes
    Die alten Griechen dachten, dass Männer und Frauen früher eine Einheit waren, eine Säule oder so etwas. Wie so oft wurde aber einer ihrer Inzestgötter tierisch sauer und bestrafte die Menschen: Mit Blitzen spaltete er die glücklichen Einheiten in Frauen und Männer auf. Seitdem muss die Menschheit ihr Leben mit der schmerzhaften Suche nach ihrer anderen Hälfte verbringen. Noch heute stellen sich junge Griechen, wenn sie frisch verliebt sind, Rücken an Rücken, um zu schauen, ob ihre Körper wie Puzzleteile ineinander passen. Heißt es jedenfalls.
    Als ich es mit ihr probierte, musste ich in die Knie gehen – je tiefer ich runterging, desto besser passte es.
    Ich liege in meinem Bett. Die Sonne wird gleich aufgehen. Ich habe mir unsinnigerweise einen Wodka Red Bull als Betthupferl eingeschenkt, aber noch nichts davon getrunken. Sein anstrengendes Bouquet nach besoffenen Gummibärchen verpestet mein Schlafzimmer. Obwohl ich unter zwei Decken liege, ist es seltsam kalt.
    Liebeskummer ist wie Drogenentzug. Man ist psychisch und körperlich

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