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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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von jemandem abhängig. Nicht nur das Herz, auch der Körper hat mit den Nachwirkungen der Liebessucht zu kämpfen. Bei mir beginnt gerade der körperliche Entzug. Ich vermisse ihre Haut. Den Duft ihres Speichels auf meinem Körper. Ihre Haare in meinem Bett. Die Kratzer auf meinem Rücken. Ich habe es geliebt, mit ihr zu schlafen. Nach meinem ersten Mal mit ihr löste sich meine Vorstellung von perfektem Sex (Eingeölte Katie Price bläst mir einen während Harald Schmidt und verwandelt sich danach in einen Hamburger Royal TS!) in Luft auf. sie! wurde mein perfekter Sex. Eigentlich war es kein Sex, was wir machten. Das Wort fasst es nicht. Nicht im Geringsten. Viel besser passt »Liebe machen« – ein Ausdruck, der, bevor ich sie! kannte, Gänsehaut auf meiner Eichel ausgelöst hätte. Hatte ich aber mit ihr geschlafen, mit ihr »Liebe gemacht«, war ich an den nächsten Tagen so paralysiert-glücklich, dass ich auch auf meiner eigenen Beerdigung Spaß gehabt hätte.
    Normalerweise würde ich mir jetzt einen runterholen. Aber heute kriege ich das nicht mehr hin. Was ist schon wichsen? Das hat der liebe Gott nur erfunden, damit wir alle nicht total durchdrehen. Es ist nicht halb so gut wie Sex und Lichtjahre von »Liebe machen« entfernt. Es hält einen nur gerade noch vom Amoklaufen ab.
    Ich schalte den Fernseher ein. Der Typ, der bei Der Preis ist heiß früher die zweite Geige gespielt hat, verkauft in einer blassgelben Sperrholzdeko Münzen und Staubsauger. Dass es ihm offensichtlich noch schlechter als mir geht, muntert mich nicht auf. Neben ihm sitzt eine rothaarige Frau und erzählt irgendwas von »super Saugleistung«. Sie erinnert mich an ein Mädchen aus meiner Klasse, die bekannt war, mit jedem Typen in die Kiste zu hüpfen. »Rostiges Dach, feuchter Keller« haben wir ihr auf dem Schulhof hinterhergerufen. Nur Jungs, die gerade verlassen wurden, waren nett zu ihr. Auf unserer Abi-Party verlor ich eine Wette. Ich musste sie fragen, warum sie mit jedem Typen ins Bett steigt. Also ging ich zu ihr rüber und fragte. Ihre Augen zogen sich zu halb bösen, halb traurigen Schlitzen zusammen. Ihre Nasenlöcher pulsierten kurz. Dann sagte sie: »Das ist meine einzige Möglichkeit, jemandem nahe zu sein. Wenigstens ganz kurz. Die größten Schlampen sind die Mädchen, die am verzweifeltsten nach Liebe suchen.« Drehte sich um und ließ mich stehen.
    Ich brauche meine Säule wieder. Schnell. Sonst werde ich, wohl oder übel, zur Schlampe.

Dreizehn:
Auge des Tigers
    12 Uhr. München. Meine Haare sitzen scheiße.
    Ich komme gerade aus Hamburg. An den Pflicht-Schwulen-Steward mit Brilli im Ohr habe ich mich gewöhnt, aber zusätzlich zwei Stunden mit Mariah-Carey-Durchfallmusik vollgedröhnt zu werden ist echt zu viel.
    Ich mag den Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Noch lieber würde ich ihn mögen, wenn er einen anderen Namen hätte. Eigentlich mag ich alle Flughäfen. Aber nur morgens und nicht zur Ferienzeit. Männer in dunklen Anzügen laufen mit ihrer Miles-and-More-Karte in der einen und dem Lederhandgepäck in der anderen Hand hektisch durch die Gates. Draußen kann man die Flugzeuge starten und landen sehen. Es ist ein Ort, von dem man ganz schnell überallhin fliehen kann – und sich deshalb selbst sehr nahe ist.
    Im Flugzeug gab es Bild und Focus, leider keine Gala. Jemand hat Kohl während einer Autogrammstunde einen Windbeutel auf seinen Dötz geknallt – Bild- Titel. Ich finde die Leute toll, die so was machen. Ich hatte auch mal die Idee, mit ein paar Freunden als Medienterrorist so richtig durchzustarten, aber nach unserem ersten Attentat – einem falsch lancierten Gerücht – haben wir schnell die Lust verloren. Es war schlichtweg niemandem aufgefallen. Das Foto des Windbeutel-Rowdys enttäuscht mich allerdings – er ist hässlich.
    Ich schwitze mich in meiner schwarzen Daunenjacke fast zu Tode. An einem Sandwichstand, gebaut aus seltsamen Metallverstrebungen und grünem Plexiglas, direkt vor meinem Gate möchte ich etwas trinken. Der Flughafen-Barkeeper hinter dem Kunststofftresen will mich aber nicht so recht bedienen. Erst nach der dritten Aufforderung schlurft er unwillig zu mir herüber. Grund: Er gräbt gerade eine Frau in einem dunkelbraunen, grob gestrickten Pulli und indianischen Fischblinkern im Ohr an.
    Ich reise mit zwei Taschen. Eine war eigentlich als Handgepäck gedacht, aber das fand der British-Airways-Computer-Inder nicht so tuffig (»Sorrey isse zu grosse Ihre Handgepäcke!«).

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