Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
eigentlich scheiße sind, aber die Texte doch irgendwie schön.
Ich sage: »Das ist das Stuckrad-Syndrom.«
»Fängst du schon wieder an?«
»Nein, aber …«
»Dann lass es.«
Ich rede weiter: »Es sind Retortengedanken, die in Retortentexte gebracht und mit Retortenmusik vermischt werden. Jeder findet sich in diesen Liedern wieder, kauft sie und glaubt er sei der Einzige, der versteht, was wirklich gemeint ist.« Wenn sie nicht immer so dummes Zeug reden würde, könnte man sie attraktiv finden. Iris hat ein klassisches Gesicht mit süßem Babyspeck, braune Haare und Porsche-braune Augen. Sie ist nicht groß, gerade mal 165 Zentimeter, würde ich sagen. Sie hat ein wahnsinnig schönes Dekolletee. Nicht, weil ihr Busen so groß ist (er ist sehr groß). Viel schöner finde ich ihre Haut vom Hals bis zur Brust, die so aussieht wie Milch und Seide und so weich wirkt wie ein frisches, weißes Daunenkissen.
Später sind wir sieben Jungs und Iris. Ich gucke in die Runde und stelle fest, dass ich nur hübsche Freunde habe.
Der Taxifahrer hält an. Ich bin mir sicher, dass wir hier schon vorbeigefahren sind. Aber was soll’s. Er will noch einen Aufschlag? Noch mal: Was soll’s. Ich bin da. Dort, wo ich eigentlich nicht sein will – aber unbedingt sein muss.
Vierzehn:
24. / Titten
Die roten Lichterketten erscheinen im Spiegel noch heller. Wie blinkende Schlangen ziehen sie sich durch die aufgereihten Schnapsflaschen hinter der Bar. Alles scheint zu blinken. Ich mag diesen Augenblick nach dem zweiten Drink: Das Licht wird intensiver, man schaut beim Trinken in sein Glas und fühlt sich unglaublich verwegen.
Die Heizung ist voll aufgedreht. Es riecht nach Chlor, Schweiß und Alkohol. Wie in einer Schwimmumkleide, in der ein Bier umgefallen ist.
Die Bühne ist rund und in der Mitte des Raumes. Drum herum stehen ungeordnet Stühle und Tische. Alessandra tanzt bereits einige Minuten oben ohne. Über ihr hängen Fernseher, in denen alte Pornos laufen. Normalerweise wird Alessandra, sobald das Oberteil gefallen ist, ein Mikro gereicht. Dann singt sie tragisch talentfrei Bohemian Rhapsody von Queen, bevor sie den Slip auszieht.
Mittlerweile muss ich im Tinto keinen Eintritt mehr bezahlen. Die Animierdamen unterhalten sich kostenlos mit mir. Der Barmann grüßt mich mit Namen.
Die Show interessiert mich schon lange nicht mehr. Nur die Drinks und meine Bücher. Heute habe ich Glamorama von Bret Easton Ellis dabei. Ich liebe seine Bücher. Obwohl mich während des Lesens immer wieder ein seltsames Ertappt !-Gefühl durchzuckt, ich weiß auch nicht, warum.
Einen Strip-Schuppen direkt unter der Wohnung zu haben ist klasse. Anfangs kam ich hierher, um zu reden. Für ein paar Peseten gibst du einer Frau einen Piccolo aus. Die muss sich dann mindestens eine Viertelstunde mit dir unterhalten. Ich konnte erzählen, von ihr erzählen, und sie mussten zuhören. Da ich für die Unterhaltung bezahlte, hatte ich natürlich immer Recht, sie war an allem Schuld und nicht gut genug für mich. Gespräche wie ein Vollsuff. Anfangs wohltuend, aber mit einem moralischen Kater verbunden.
Irgendwann und irgendwie fiel mir auf, dass ich mich in Nacktbars toll konzentrieren kann. Drum fing ich an, meine Bücher hier zu lesen. Bestimmt wäre ich in der Schule besser gewesen, wenn meine Lehrerinnen nackt oder wenigstens hübscher gewesen wären.
Das Tinto ist heute voller Ami-Soldaten. Der Barkeeper erzählt, dass zwei US-Flugzeugträger über die Feiertage im Hafen liegen. Show me your pussy, babe! ist der mit Abstand meistgerufene Satz an diesem Abend.
»Are you from the States?«, will ein muskulöser Latino-Amerikaner mit einer zehn Zentimeter dicken Fettschicht über riesigen Muckis wissen.
»No, from Germany«, antworte ich.
»O, excuse me. I thought … because of the books!" An seinem Finger, mit dem er auf mein Buch zeigt, trägt er einen fetten, goldenen Siegelring, besetzt mit einem glühendroten Stein. Er will es sich nehmen. Ich gebe dem Buch einen Stoß, sodass es aus seiner Reichweite rutscht. Leider genau in eine kleine Bierlache. Aber ich möchte nicht, dass er es berührt.
Er schwingt sich auf den Barhocker neben mich. Das Holz des Hockers knirscht und ächzt auf, als er landet. Er ist groß. Sehr groß. Mindestens 1,95 Meter. Sein schwarzes Deckhaar hat er auf einen Zentimeter, die Seiten auf 0,5 Zentimeter rasieren lassen. Er hat einen Schnurrbart und eine Narbe auf der linken Augenbraue. Immerhin riecht er besser
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