Eindeutig Liebe - Roman
beinahe so weit gebracht, dass ich es geglaubt hätte. Ich hatte sie nie richtig gekannt. Mir kam es vor, als ob ich überhaupt niemanden kannte …
»Und zweitens …«, unterbrach Ant meine Gedanken gerade noch rechtzeitig, bevor ich vor Wut explodieren und sein ganzes Büro in Brand setzen konnte. Ein Fuß von mir hätte an der Schreibtischlampe gehangen, der Rest als undefinierbare Fetzen in seinem Gesicht.
»Ja, Ant, was ist?«
»Sarah, die Redakteurin von SparkNotes, verlässt uns ebenfalls. Sie geht auf Reisen.«
Ich erinnerte mich an die Weihnachtsfeier und daran, dass Chloe es bereits gewusst hatte. Verdammt, ich wollte nicht an Chloe denken. Aber was hatte das Ganze mit mir zu tun?
»Ich möchte diesen Posten neu besetzen. Das ist ein guter Job. Ich habe da jemanden im Sinn, aber ich möchte, dass Sie mich überzeugen.« Er lächelte wieder.
Allmählich glaubte ich, dass er wirklich kein so übler Kerl war. Echte Zuneigung überkam mich – er musste von Sienna sprechen. Ich wollte vom Stuhl aufspringen und ihm eine Rede darüber halten, wie toll sie war. Darüber, wie hart sie arbeitete. Ihm sagen, dass sie den Posten viel mehr verdiente als irgendjemand sonst im Verlag. Okay, es war nicht die Redaktion einer großen landesweiten Zeitschrift, aber zumindest war es eine große Sache für eine Fünfundzwanzigjährige, die glaubte, ihre Zukunft bestehe aus verschreibungspflichtigen Tabletten und darin, Wände mit Kissen zu polstern.
All die Möglichkeiten schwirrten mir durch den Kopf: wie sie in ihrem eigenen Büro aussehen würde, wie sie frischen Wind in das Magazin bringen konnte, wie sie mehr Geld verdiente, sodass sie und ihr Vater ein besseres Leben führen könnten. Plötzlich wünschte ich mir mehr als alles andere auf der Welt, dass sie diesen Job bekam.
Er sah mich erwartungsvoll an. »Na, dann mal los. Nick. Sie können ihre Arbeit besser beurteilen als ich. Was meinen Sie? Ist sie so weit?«
»Oh ja, Ant, sie ist so weit. Noch viel mehr als das: Sie ist ein Superstar, sie hat Talent, sie ist unglaublich …« Ich verstummte. Mir ging die Luft aus.
Misstrauisch zog er eine Augenbraue hoch. »Schon gut, Mann, ganz ruhig.«
Ich wurde puterrot. Ich spürte richtig, wie mein Gesicht brannte.
»Na los, verschwinden Sie«, sagte er leise.
»Aber Sie geben ihr die Stelle, oder? Das tun Sie doch; bitte sagen Sie mir, dass sie es tun«, flehte ich ihn über den Schreibtisch hinweg an und schleuderte mit einer unbedachten Bewegung einen Papierstoß zu Boden.
»Ich bin mir noch nicht ganz sicher, Nick, aber sobald ich mich entschieden habe, gebe ich Ihnen Bescheid, okay? Wahrscheinlich werde ich mich morgen darum kümmern.«
»Alles klar. Tun Sie das«, sagte ich.
Als ich aus der Tür trat und die Treppe hinunterging, fühlte ich mich mit einem Mal leicht und luftig. Im nächsten Moment sah ich Sienna an ihrem Schreibtisch; sie tippte wie eine Irre. Ich war so aufgeregt. Chloe war nicht da, Gott sei Dank – sie war offenbar in der Teeküche –, daher ging ich zu Sienna und flüsterte ihr ins Ohr. Es kam mir merkwürdig vor, weil ich es so lange nicht mehr getan hatte.
»Hallo, Superstar!«
Sie zuckte leicht zusammen, dann blickte sie sich nervös um, als dürfte ich bei der Arbeit nicht in ihrer Nähe sein. »Nick. Wovon sprichst du?«, kicherte sie schüchtern.
Ich zwinkerte ihr zu und ging, verschanzte mich in meinem Büro. Sienna sah mir einen Moment lang erstaunt nach, dann tippte sie weiter. Ich freute mich so sehr für sie! Doch ich musste ihr aus dem Weg gehen, denn ich wusste, dass ich irgendwelche Andeutungen machen würde, wenn ich länger in ihrer Nähe war.
Es war bereits fünf Uhr. Ich öffnete meine Jalousien und sah, dass neunzig Prozent aller Schreibtische leer waren, auch Siennas. In der Redaktion war es still. Die Deckenbeleuchtung flackerte auf ihre typische, Kopfschmerzen verursachende Art. Ich sah zum Aufzug hinüber und dachte kurz an den Moment, als ich aus dem Lift getreten und sie ein Teil meines Lebens geworden war.
Um halb sechs stand ich auf und verließ das Büro. Mir blieb noch ein wenig Zeit, bis ich mich mit den Jungs traf, also beschloss ich, mich ins Auto zu setzen und meine Mutter anzurufen. Es war lange her, dass ich mich das letzte Mal richtig mit ihr unterhalten hatte. Die Sonne schien noch, aber sie sank bereits, und rosarote Streifen zogen über den Himmel. Ich war den ganzen Nachmittag lang niedergeschlagen gewesen, aber jetzt fühlte ich mich
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