Eindeutig Liebe - Roman
besser.
»Äh, ’tschuldigung.« Eine tiefe, barsche Stimme drang in mein Ohr. Der Sprecher hatte eindeutig einen Londoner Akzent, aber in seiner Stimme schwang auch ein gewisser gebildeter Unterton mit. Als hätte er sich irgendwie … weiterentwickelt. Ich stand neben meinem Wagen und schaute mich um. Wer um alles in der Welt …
Plötzlich erhob sich langsam eine abgerissene Gestalt auf der anderen Seite des Wagens. Der Kerl sah furchterregend aus, aber ich kannte ihn irgendwoher … Ich kam nur nicht darauf, woher. Das gefiel mir ganz und gar nicht. In der einen Hand hielt er eine Coladose, in der anderen einen Sack mit irgendetwas Schwerem. Bücher vielleicht? Er sah wütend aus. Oh nein – was hatte er mit mir vor?
»Sind Sie Nick?«, fragte er und deutete mit der Coladose in meine Richtung. Ein großer Schwall brauner Flüssigkeit landete auf dem Dach meines Autos und zischte auf dem Lack. Scheiße – war der Kerl etwa besoffen?
»Äh, ja. Wieso?«
»Ich muss in Ihr Auto«, verlangte er geheimnisvoll.
Von wegen, Kumpel!, dachte ich. Er sah aus wie ein Obdachloser. Auf keinen Fall würde ich einen verrückten Obdachlosen in meinen Wagen steigen lassen. Auf gar keinen Fall. Sah ich etwa so aus, als wäre ich darauf versessen, in der Kriminalstatistik aufzutauchen?
Aber ungeschickt, wie ich war, drückte ich den falschen Knopf auf meinem Funkschlüssel und entriegelte damit sämtliche Türen. Panik wallte in mir auf, und ich starrte auf den Schlüssel, was meine Reaktionszeit beträchtlich erhöhte. Noch ehe ich es schaffte, auf »Verriegeln« zu drücken, hatte der Fremde bereits die Beifahrertür geöffnet und stieg ein.
Scheiße!
Er setzte sich neben mich und starrte vor sich hin. Ich zögerte einen Augenblick und verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, dann eilte ich auf die andere Seite des Fahrzeugs. Ich packte seinen dünnen Arm und versuchte mit aller Kraft, den Mann aus meinem Wagen zu ziehen. Auf meiner Oberlippe hatte sich ein Schweißfilm gebildet. Willkommen in London, der Stadt, in der die Gefahren allgegenwärtig sind! Im Stillen verfluchte ich mich dafür, dass ich nicht wachsamer gewesen war.
Ich zerrte weiter, aber der Kerl schien auf dem Sitz Wurzeln geschlagen zu haben. Er stemmte einen Fuß gegen den Boden und keilte sich damit fest. Meine Hände schwitzten, sodass ich immer wieder von seinem Arm abrutschte. Es hatte keinen Sinn. Ich hörte jede Menge Grunzlaute, aber ich wusste nicht, ob sie von mir oder von ihm stammten.
»Raus mit Ihnen, verdammt!«, schrie ich und hoffte, jemand würde mich hören und mir helfen.
»Nein. Hören Sie mir zu!«, forderte er, doch ich zog weiter an ihm. Er hielt sich jetzt zusätzlich am Wagendach fest, und es war völlig unmöglich, ihn herauszubekommen. Das Auto schwankte bereits leicht unter der Wucht des Gerangels. Ich stemmte mich mit dem Fuß gegen die B-Säule hinter der Tür, um die Hebelkraft zu vergrößern, aber er klammerte sich fest, als hinge sein Leben davon ab. Schließlich gab ich auf und stützte mich atemlos auf die Knie. Was um alles in der Welt sollte ich nur tun? Sollte ich ihn schlagen? Ich bin nicht gewalttätig, aber das war doch Selbstverteidigung, oder? Also ballte ich die Faust und holte aus.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, brüllte ich. Meine Stimme hallte über den Parkplatz zu mir zurück. Ich klang wie ein Mädchen.
»Jetzt beruhigen Sie sich doch endlich! Ich bin Pete. Sie kennen mich doch.«
Ich wusste noch immer nicht im Entferntesten, wer er war. Pete. Pete, wer sollte das sein? Ich musterte ihn. Er hatte ein runzliges Gesicht, wie man es bekommt, wenn man viel Zeit im Freien verbringt, und um seine Augen waren Falten, die ihn um Jahre älter erscheinen ließen. Er trug ein ausgeblichenes schwarzes T-Shirt und löchrige Jeans. Und da begriff ich endlich.
Das war Siennas Pete. Der Obdachlose, mit dem sie sich andauernd unterhielt. Der Kerl, mit dem sie meiner Meinung nach ihre Zeit verschwendete. Er sah jedoch sehr viel besser aus als früher – er hatte Gewicht zugelegt und war glatt rasiert. Trotzdem wirkte es nicht, als hätte er ein geregeltes Leben – ich war völlig verblüfft.
»Ach, verdammt, tut mir leid.« Ich streckte erneut die Hand nach ihm aus, doch er zog wütend den Arm weg.
»Das sollte es auch, Sie dämlicher Trottel«, fuhr er mich an und drehte die Schultern, damit sein T-Shirt wieder richtig saß. »Werden Sie sich jetzt ins Auto setzen, damit wir reden
Weitere Kostenlose Bücher