Eindeutig Liebe - Roman
Augenblick lang da und musterte mich. Dabei sah er so gut aus, dass es wehtat. Er brachte mein Herz noch genauso zum Pochen wie an dem Morgen, als ich ihn zum ersten Mal im Zug gesehen hatte. Damals, als ich ihn augenblicklich zum bestaussehenden Mann im Waggon, wenn nicht auf der Welt gekürt hatte. Für eine Zwanzigjährige, die es bisher nur bis nach Paris geschafft hatte, und das auf einer Klassenfahrt, war das eine ganz schön weit hergeholte Annahme. Albern, oder?
Ich konnte die Gedanken lesen, die ihm durch den Kopf gingen, bevor er aufstand. »Tut mir leid, Si. Danke für das Angebot, aber ich bin jetzt wirklich müde. Ich muss nach Hause gehen und mir ein Bild vom Ausmaß der Katastrophe machen.«
Ich war schrecklich verlegen. Wieder hatte ich es getan. Um Gottes willen! Es war genau wie das eine Mal, als ich es für eine tolle Idee hielt, zu ihm ins Bett zu kriechen und ihn zu umarmen.
»Schon gut. Ich weiß gar nicht, wieso ich das gesagt habe.«
Er umarmte mich ein letztes Mal, dann verließ er schweigend die Wohnung. Den Kopf hielt er noch immer gesenkt. Er sah aus wie ein Trauernder.
In der Nacht schlief ich nicht gut. Überhaupt nicht gut.
Nick
Nick. Zweiunddreißig. Single. Nick. Zweiunddreißig. Single.
Geht das wieder los, dachte ich, als ich an meinem Schreibtisch saß und ein Foto von zwei Brüsten für einen Artikel über kosmetische Chirurgie bearbeitete. Was bin ich doch für ein erbärmlicher Bastard! Ein absolut erbärmlicher Bastard!
Die Beklemmung nagte an mir. Wo ist deine Frau, Nick? Ach nein, du hast ja keine. Kinder? Natürlich nicht. Das Atelier, das du immer haben wolltest? Träum weiter.
Die Tür zu meinem Büro war geschlossen, die Jalousien zugezogen. Ich arbeitete wie ein wütendes, entstelltes Geschöpf, das so lange in der Finsternis gelebt hat, dass es zu Staub zerfallen müsste, wenn es auch nur einen Fuß vor die Tür setzen würde.
Ich wollte nicht sehen, wie Chloe im Büro herumscharwenzelte und mich anblickte, als wäre ich gerade aus dem Hintern einer Taube gefallen. Das war der Grund, warum ich mir geschworen hatte, niemals eine Beziehung zu einer Kollegin einzugehen. Ich rechnete fest damit, dass mein nächster Tee voller Arsen war … Sie hatte sich ein paar Tage nach unserer Trennung Urlaub genommen, und irgendwie hatte ich gehofft, dass sie nicht wiederkommen würde, doch sie war an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt.
Eine Chatmeldung öffnete sich und riss mich aus meiner Selbstanklage. Sie stammte von Tom.
NA KOMM SCHON, DU TRÜBE TASSE.
SEI NICHT TRAURIG.
Ich lächelte seufzend. Tom war so ein Trottel, aber ich mochte ihn trotzdem. Also schrieb ich:
Alles okay, Tom, beruhige dich. Gehen wir nachher ein Bier trinken? Was hältst du davon?
JA, JA UND JA. LASS UNS LIEBER SIEBEN BIER TRINKEN UND IN IRGENDEINER MÜLLTONNE ÜBERNACHTEN. NA, WIE KLINGT DAS?
Klingt nach einem perfekten Abend!
BIS NACHHER, KLOTZKOPF.
Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln, als ich an die Leute um mich herum dachte und daran, wie brillant sie waren. Nicht brillant in der Hinsicht, dass sie die Welt verändert hätten – sie änderten nicht mal ihre schlechten Gewohnheiten –, aber ich war froh, sie um mich zu haben. Wirklich, ich konnte mich glücklich schätzen, sie zu kennen.
Ich nahm mein Handy und schickte Ross eine SMS:
Tom und ich gehen heute Abend in Balham einen trinken. Ab sechs Uhr im Sheep’s Head? Kannst du kommen? Sag den Jungs Bescheid. Nick.
Die Jungs. Kurz fragte ich mich, weshalb ich sie eigentlich so nannte. Doch ich glaube, dass es daran liegt, dass wir im Herzen eben immer noch Jungs sind. Der Umstand, dass wir alle über dreißig sind, ändert nichts daran. Selbst wenn wir alle irgendwann dicke Schuhe mit Spezialsohlen und Klettverschlüssen tragen werden und versuchen, im Bus nicht umzufallen, werden wir noch »die Jungs« sein. Allerdings muss dieser Junge hier irgendwann mal erwachsen werden …
Es war vier Uhr, und in einer Stunde würde ich das Büro verlassen und etwas Spaß haben können. Mein Telefon klingelte; es war ein internes Gespräch. Plötzlich fürchtete ich, es könnte Chloe sein. Scheiße. Beklommen hob ich ab, aber es war nur Ant, Gott sei Dank. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal freuen würde, seine Stimme zu hören.
»Nick, können Sie mal kurz zu mir kommen?«, fragte er.
Ach je. Ich legte auf. Vermutlich steckte ich in Schwierigkeiten. Ich würde jetzt das Großraumbüro durchqueren. Vorbei an meiner Ex,
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