Eindeutig Liebe - Roman
erschrecken. Tatsächlich zuckte sie ein wenig zusammen. »Ich fahre jetzt nach Hause, aber ich kann dich morgen früh abholen, wenn du willst. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wann das sein wird, aber auf jeden Fall ziemlich früh.« Ich schob ihr einen Zettel zu, auf den ich mit schwarzer Tinte meine Handynummer gekritzelt hatte.
Sie sah mich panisch an, was mich nicht überraschte, denn immerhin hatte ich gerade vor ihr den »Freundinnen ermordenden Irren« gespielt.
»Das ist sehr freundlich – danke, Nick. Ich … äh … ich denke darüber nach und rufe dann an.«
»Ich freue mich schon sehr auf die Messe«, fügte sie noch hinzu.
Aus dem Augenwinkel sah ich Dave, unseren Sportreporter. Er stand hinter Sienna, tanzte und schwang dabei die Hüften wie ein sexuell überdrehter R’n’B-Sänger. Hechelnd zeigte er auf sie. Dann fiel ihm sein Pony ins Gesicht. Oh Mann, war das peinlich …
Sienna musste gespürt haben, dass hinter ihr etwas vor sich ging, denn sie drehte sich abrupt um. Doch da saß Dave schon wieder ruhig an seinem Platz und tippte mit scheinheiliger Miene vor sich hin – wahrscheinlich: XyXyXy. Dreister Mistkerl!
»Gut, dann sehen wir uns morgen früh«, verabschiedete ich mich und wandte mich auf der Stelle um.
Als ich nach Hause kam und den Schlüssel ins Schloss steckte, graute mir vor dem, was ich vorfinden würde. Vielleicht hatte Amelia ja mit rohem Fleisch die Buchstaben VERDAMMTER FLACHWICHSER auf den Boden geklebt oder – noch schlimmer – meine Radiohead-CD geklaut. Am schlimmsten allerdings wäre es, wenn sie noch da wäre …
Ich ging langsam in den Flur. »Amelia?«, rief ich, und die Furcht in meiner Stimme hallte deutlich hörbar im gesamten Korridor wider. Als ich nach unten blickte, entdeckte ich den Schlüssel, der glänzend auf der Fußmatte lag. Uff, geschafft!, dachte ich.
Vorsichtig schlurfte ich in die Küche und sah ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf dem Tisch liegen. Ich begann zu lesen:
Lieber Nick!
Was soll ich sagen?
Ich habe die beste Beziehung zerstört, die ich je hatte, und das werde ich mir wahrscheinlich niemals verzeihen.
Mir tut es in tiefster Seele leid, dass ich Dir so viel Schmerz zugefügt habe.
Wenn es Dir irgendwie hilft: Die Person, der ich damit am meisten wehgetan habe, bin ich selbst.
Menschen wie Dir begegnet man nicht oft, und vielleicht lerne ich nie wieder jemanden wie Dich kennen. Wenn Du mir jemals verzeihen kannst – ich warte auf Dich.
In Liebe,
Amelia
Eins musste man der Kleinen lassen: Das war richtig herzzerreißend! Ich betrachtete ein Foto von uns, das mit einem Honey-Monster-Magneten befestigt an der Kühlschranktür hing. Darauf sahen wir so glücklich aus. Hinter uns waren die Hügelketten des Lake District zu sehen, und die helle Sonne hatte in der einen Ecke des Fotos einen weißen Blitz erzeugt. Ein kleiner Makel in einem ansonsten perfekten Augenblick.
Das wahre Ausmaß dessen, was geschehen war, traf mich plötzlich wie eine Tonne Ziegelsteine. Das Haus kam mir riesig vor, obwohl es so groß gar nicht war: ein Reihenhaus mit vier Zimmern, das mir jetzt, wo ich allein war, wie ein riesiger Landsitz vorkam.
Die Anzahlung hatte ich mit dem Geld geleistet, das mir meine Großmutter vererbt hatte. Meine Eltern hatten auch etwas beigesteuert. Eigentlich konnte ich mich glücklich schätzen, so jung schon so ein Haus zu besitzen, aber im Augenblick fühlte ich mich darin doch sehr allein. Wahrscheinlich würde ich ein Zimmer vermieten müssen, um die Raten bezahlen zu können. Echt klasse.
Bisher hatte ich geglaubt, ich wäre zu wütend über das, was Amelia und Toby mir angetan hatten, um noch Trauer empfinden zu können. Ich war so in Rage gewesen, dass ich nicht mal an sie denken wollte. Doch jetzt merkte ich allmählich auch, dass ich sie tatsächlich verloren hatte.
Plötzlich fiel mir wieder ein, wie sich dieses Stadium einer Trennung anfühlte: Es erinnerte an eine wirklich schlimme Magenverstimmung, nachdem man irgendeinen fiesen Imbissbudenfraß gegessen hat. Man fürchtet, dass man mit dem Kopf in der Kloschüssel und einem Riesenloch im Hosenboden sterben könnte, aber nach ein paar Wochen hat man völlig vergessen, wie übel es war. Es war fast, als wäre das Erlebnis so traumatisch, dass der Kopf die Erinnerung daran weitgehend abschwächte, damit man in der Zukunft wieder etwas riskieren konnte. Andernfalls würde man es ja nie wieder ertragen, eine Straße entlangzugehen, an der eine
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